Ursula Maria Probst: Martin Krenn, Das Politische an politischer Kunst (2011, Ger.)

Martin Krenn setzt in seinen Projekten an der Nahtstelle von Kunst, gesellschafts-, migrations- und geschichtspolitischen Themen, Fragen und Aktivismen des zivilen Protests und Strategien des Widerstandes an. In der Realisierung befindet sich Martin Krenn in einem regen Austausch mit lokalen und globalen AktivistInnen, unabhängigen Medien-NGOs und Internetplattformen, ist in aktivistische Proteste vor Ort involviert bzw. rückt Betroffene und ExpertInnen durch Interviews und direkte Statements in den Fokus seiner Foto-, Dia-, und Videoprojekte. Teil von Martin Krenns künstlerischer Produktion sind Interventionen im öffentlichen Raum, kritische Essays, kuratorische Projekte sowie eine Analyse digitaler oder analoger Bildästhetiken und deren unsere Realität und visuelles Gedächtnis mitproduzierenden Mechanismen. Martin Krenn zählt zu den VertreterInnen einer politisch engagierten Kunst, die gegenüber einer Mythologisierung und Verunklärung des Demokratiebegriffs in unserer heutigen Medien-Kultur und deren Szenarien machtpolitisch dominierter Informationstransfers konkrete Gegenmodelle produzieren. Seine politischen Projekte startete Martin Krenn gemeinsam mit dem Künstler Oliver Ressler 1995. Während er sich in den 1990er Jahren noch stark journalistischer Methoden bediente, basieren seine späteren Arbeiten auf Kooperationen mit AktivistInnen, die in den Gestaltungsprozess der Projekte eingebunden werden, oder auf rechercheintensiven dokumentarischen Projekten, die sich mit der Funktionsweise journalistischer Praxis und der Vermittlung historischer und aktueller Begebenheiten auseinandersetzen.
In Martin Krenns fotografischen Projekten zur Anti-Globalisierungsbewegung und seinen öffentlichen Interventionen zu migrationspolitischen, asylrechtlichen Prozessen zeigt sich, dass politische Kunst eine des politischen Handelns und der Sichtbarmachung von Gegen-Öffentlichkeiten ist.

Politiker haben sich gesellschaftliche Räume angeeignet, sie haben ökonomische Strategien auf gesellschaftliche Bereiche wie die Freiheit des Ausdrucks, wie die Existenz sozialer Institutionen angewandt und durchmischt. Die politische Kunst von Martin Krenn widersetzt sich dem Zynismus und Populismus diverser Politiker im Umgang mit Menschenrechten, der Banalisierung und Entwertung demokratischer Bedürfnisse und der daraus resultierenden Indifferenz. In seinen Projekten zu Rassismus, Antisemitismus oder Totalitarismen analysiert und praktiziert Martin Krenn alternative Strategien des Widerstandes gegen herrschende Machtverhältnisse und Denkmuster, ortet „Risse“ und „Lücken“ im System für politische Kunst. Künstlerische Praxis gestaltet sich in den von ihm realisierten Projekten zum transdisziplinären Katalysator politischer Forderungen und Initiativen. „Statt Rassismus“ (2010) entstand in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen rassismuskritischen Gruppierungen wie Plattform Bleiberecht, FLUCHTpunkt oder Initiative Minderheiten als offen konzipiertes Projekt. Mit der Forderung nach einem Antirassismus-Büro und dem Appell „Ergreifen Sie Partei“ wurden parteipolitische Kategorien entgrenzt und der öffentliche Raum durch Interviews mit Betroffenen und PassantInnen als Kommunikationsraum gegen Rassismus neu besetzt. In dem Projekt „Demokratie und Wohlstand für alle“ (2007) wurden durch Fragebögen die Bewohner von Linz-Auwiesen mit sozialpolitischen Utopien eines Wohlfahrtstaates konfrontiert. Der Gemeinschaft suggerierende Appell „Für alle“ wurde von Martin Krenn auf die Einforderung einer freien Wahl von Lebensraum für alle erweitert. Hinsichtlich der Überlegungen zu politischen Kunstbegriffen und zur politischen Dimension von Kunst stellt sich so einerseits die Frage nach den dafür angewendeten künstlerischen Methoden und andererseits zur dadurch ausgelösten kulturellen Produktion.

In Kooperation mit internationalen AktivistInnen arbeitet Martin Krenn seit 2007 an dem autonomen Projekt „In Between the Movements“ durch das Videoformate zu globalen und lokalen Widerstandsbewegungen entstehen. Im Zuge des Projekts wird ein Videoarchiv angelegt, um aufzuzeigen, wie Politik am Rande funktioniert. Neben radikalen Statements werden auch unspektakuläre Aussagen von AnrainerInnen aufgenommen und archiviert. Martin Krenns Foto- und Videoprojekt „Choi Yuen Village“ (2010), das Patricia Grzonka in einem Text dazu aufgreift, setzt sich mit den Strategien eines Widerstandes gegen transnationale Globalisierungsphänomene auseinander. Internationale AktivistInnen, KünstlerInnen und Betroffene entwickeln vor Ort gemeinsam Formen des politischen Protests gegen die brutale Umsiedlungspolitik der chinesischen Regierung. In Hong Kong, wo Protest noch immer starken Zensurmaßnahmen unterliegt, stellt diese Aktion exemplarisch eine Möglichkeit dar, friedlichen Widerstand zu leisten.

Mit der Methode der Re-Fotografie und der ideologischen Rhetorik des Kommunismus konfrontiert uns Martin Krenn in seinem Projekt „Tirana Tours“ (2007). Albanien war als letzter europäischer Staat bis 1992 kommunistisch regiert. Während eines Artist-in-Residence-Austauschprogrammes in Tirana entdeckte Martin Krenn den touristischen Reiseführer „Tirana“ von 1990. Fünf der im Reiseführer abgebildeten touristischen Schauplätze fotografierte er und interviewte den Fotografen des Reiseführers Petrit Kumi für ein 6-minütiges Video. Eine der Fotografien zeigt das Museum Enver Hoxha, das für den Reiseführer vom Hubschrauber aus fotografiert wurde. Der Auftrag an den albanischen Fotografen erfolgte aus politischen, ideologischen Gründen. Petrit Kumi erläutert wie unter dem Regime von Enver Hoxha mit Fotomontage-Techniken gearbeitet wurde und wie aus Fotografien Personen rund um Enver Hoxha weg retouchiert wurden. Die Lektüreverfahren von Historiografien werden durch Martin Krenns künstlerischen Zugang neu konfiguriert.

Im Projekt „Memory in (Post-) Totalitarianism“ (2010) analysiert Martin Krenn die Funktion von Erinnerungspolitik für aktuelle politische Aktionsräume bzw. für die Schaffung neuer politischer Räume. Wie verändern sich unsere Geschichtsbilder durch den Umbruch politischer Systeme? Welche Veränderung durchläuft ein Geschichtsbild durch den Wechsel von einer totalitären in eine posttotalitäre Gesellschaft? Wie wirken faschistische oder kommunistische Ideologien in den Lebens- und Denkräumen, im individuellen und kollektiven Gedächtnis von Nachfolgegenerationen nach? Wie werden Geschichtsbilder durch ideologische Überschreibungen oder durch die Ausblendung historischer Ereignisse und Fakten zum Material politischer Instrumentalisierung? Welche Formen der Erinnerung existieren andererseits durch Überidentifikation mit Opfern oder durch einen Erinnerungsstolz? Welche Gruppierungen werden dabei ausgeschlossen und welche verfügen über eine Mitsprache? Gibt es so etwas wie eine Erinnerungsmigration?

Denk- und Mahnmäler, Archive, Museen und Gedenkstätten sowie Interviews mit ExpertInnen, HistorikerInnen Betroffenen und Überlebenden bilden den Inhalt des Projektes „Memory in (Post-) Totalitarianism“. Martin Krenn erstellt durch Fotografien eine visuelle Reise an Orte der Geschichte. Parallel dazu fließen Gespräche und Textfragmente ein. Mit „Memory in (Post-) Totalitarianism“ liefert Martin Krenn einen genealogischen Abriss zu Erinnerungskulturen an konkreten Beispielen wie der Gedenkstätte Buchenwald in Deutschland oder dem Memorial Sighet in Rumänien und verbindet seine Recherchen durch spezielle gestalterische Mittel wie Fotografie, einer 3-Kanal Ton-Diainstallation mit Einspielungen von Interviews. Die Statements zur Diaprojektion sind unter anderen von Felicia Waldman, die ein Gründungsmitglied von IDEE (Initiatives for Democracy in Eastern Europe) ist, dem Historiker Andrei Oisteanu und dem stellvertretenden Stiftungsdirektor der Gedenkstätte Buchenwald Rikola-Gunnar Lüttgenau. Seine Interviewpartner im Video sind, der Journalist und Buchautor Oliver Lust und der Präsident der Association of Romanian Jews Victims of the Holocaust Liviu Beris. Beide sind Überlebende der Shoah und beziehen zu aktuellen gedenkpolitischen Fragen Stellung.

Existierende Defizite eines offiziellen Erinnerns werden durch einen ausdifferenzierenden Zugang in den Blickpunkt gerückt.

Martin Krenn hinterfragt gleichzeitig, wie Erinnerungskultur mit nationalen oder ideologischen Mythenbildungen einhergeht und wie sich diese wiederum in Spielfilmen oder Historienromanen niederschlagen. In die Installation integriert sind beispielsweise Filmstills des DEFA Filmklassikers „Nackt unter Wölfen“, der als antifaschistischer Film 1963 in der DDR entstand und am Originalschauplatz Buchenwald gedreht wurde. Die Filmstills dienten Krenn als Vorlage für die Fotos, welche er 2010 in der Gedenkstätte aufgenommen hat. Sieht man zum Beispiel in der Dia-Installation auf einem Filmstill noch die Revolte der Buchenwaldhäftlinge und wie sie auf das Eingangstor zustürmen, so zeigt das nächste Bild, das von Krenn refotografierte Tor mit TouristInnen, die gerade für ein Erinnerungsfoto posieren. Es ist ein touristisch beliebter Schauplatz, da am Tor, der für Buchenwald berüchtigte Schriftzug „Jedem das Seine“, angebracht ist. Das selbe Motiv ist ein zweites Mal in der Ausstellung als großformatiges Foto zu sehen. Eine Bildunterschrift darunter legt eine weitere Schicht zur Geschichte dieses Ortes frei: Der Schriftzug wurde von dem Buchenwald-Häftling Franz Ehrlich 1938 auf Befehl der SS gestaltet. Er entwarf allerdings die Buchstaben in Anlehnung an Meister des Bauhauses und seinen Lehrer Joost Schmidt. Der bewusste Rückgriff auf gerade diese Typografie wurde so zur subtilen Intervention gegen den menschenverachtenden Geist der Inschrift.

Erinnerungspolitische Kämpfe und Praxen sind Teil der Geschichte. Die Anfänge einer Gedenkästhetik sind oft eine „Setzung“, die als Geste der Überlebenden eingefordert wird. Andererseits beleben Mahnmäler oder Gedenkstätten als symbolisches Erinnerungskapital den Tourismus und bekommen dadurch einen wirtschaftsökonomischen Beigeschmack. In „Memory in (Post-)Totalitarianism“ treibt Martin Krenn eine Repolitisierung voran, die die erinnerungskulturellen Konjunkturen der letzten Jahre ebenso in die Reflexionen einbezieht und diskursive Räume eröffnet. Als Projekt wendet es sich gegen eine tendenzielle Hegemonialisierung von Erinnerungspolitik. Gleichzeitig findet durch das Projekt eine Reflexion über künstlerische Strategien der Erinnerung statt. In „Memory in (Post-) Totalitarianism gerät so die Visualität einer Post-Histoire“ zum Themenkomplex.

Text für Galerie Zimmermann Kratochwill (GZK), Februar 2011