Cornelia Offergeld: Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz (2016, Ger.)

„Wenn ein Künstler die Ausbeutung und den Krieg auch nur hinnimmt, dann ist seine Begeisterung für Kunst eine Lüge!“ John Heartfield

Das Kreuz und der Frieden

Am 3. April 2016 standen und saßen die Menschen bei der Präsentation des „Mahnmals Friedenskreuz St. Lorenz“ ruhig im Waldhang oberhalb von St. Lorenz in der Wachau zwischen den Bäumen. Ein bisschen erinnerten sie an einen Schwarm Vögel, der sich kurz niedergelassen hatte, um sich in der sanften Frühlingssonne zu wärmen. Über allem schien eine vereinende Friedlichkeit zu liegen. Ein trügerisches Bild, denn wir leben in vielen kleinen Parallelwelten. Im „Friedenskreuz St. Lorenz“ manifestieren sie sich diese in Form eines divergierenden Verständnisses von Geschichte und ihrer Aufarbeitung. So waren dann auch die einen über¬rascht und die anderen nicht, als die Präsentation vom „Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz“ mit der Weihung durch einen Pries¬terabgeschlossen wurde. Der Künstler John Heartfield, der sich nichts anderem als der schonungslosen Offenlegung der Wahrheit verpflichtet gesehen hatte, hätte sicher nicht damit gerechnet. Auch nicht, dass eine seiner Fotomontagen, mit der er 1933 – im selben Jahr, als er sich nur durch den Sprung aus dem Fenster der Verhaftung durch die SA entziehen konnte – bereits vor dem Krieg warnte, jetzt groß vor dem „Friedenskreuz St. Lorenz“ schwebte, eingebettet in die Kulisse des Waldes. Sein Vater, der Schriftsteller Franz Held, der 1895 wegen Gotteslästerung in Deutschland zu einer Haftstrafe verurteilt worden war, daraufhin mit der Familie in die Schweiz und später nach Aigen bei Salzburg zog, wäre wohl amüsiert gewesen.

Der künstlerische Wettbewerb

Als ich vom Beirat für Kunst im öffentlichen Raum in Nieder¬österreich gebeten wurde, ein temporäres Kunstprojekt beim „Friedenskreuz St. Lorenz“ zu kuratieren, spielte ich den Ball an diesen zurück, um zunächst die möglichen Alternativen in Betracht zu ziehen und um schließlich in Absprache mit dem Beirat und den Vertretern der Gemeinde Rossatz-Arndorf, zu der St. Lorenz gehört, eine permanente Installation zu favorisieren. Das schlichte Holzkreuz war im Einverständnis mit der Gemeinde in den 1960er Jahren von ehemaligen Wehrmachtssoldaten errichtet worden und ist der „Kampfgruppe Jockisch“ gewidmet (1). Ursprünglich war es nur mit einer Marmortafel mit der Aufschrift „Zum Gedenken für die gefallenen Helden der Kampfgruppe Jockisch“ versehen worden. 2004 wurde auf dem Kreuz nachträglich eine „Gedächtnisaufzeich¬nung“ von einem der ehemaligen Soldaten der „Kampfgruppe Jockisch“ montiert. In dem Schreiben erklärt dieser sein Anliegen: Nach dem Krieg habe er eine „Gedenkstätte für die gefallenen und vermissten Kameraden“ errichten wollen. Er schließt mit den Worten: „… beseelt von dem Gedanken den Frieden zu fördern und zu erhalten, nach all dem Erlebten“. Ortsansässige berichteten, dass die „Gedenkgemeinschaft Major Walter Nowotny“ seit 2010 bei dem Kreuz jährliche Gedenkfeiern zu Ehren des aus Niederös¬terreich stammenden Major Walter Nowotny abhalte. Dieser wurde von den Nationalsozialisten als „Fliegerheld“ verehrt. Seitdem haben Unbekannte an dem Kreuz eine Metallhalterung mit zwei Wehrmachtshelmen und einen Lorbeerkranz montiert.

Zum einen übernimmt das circa vier Meter hohe Kreuz die Funktion eines klassischen Kriegerdenkmals, dasjedoch die Trauer mit dem Totenkult einer einzelnen Gruppe verbindet. Erst durch die Verwendung allgemeingültiger Symbole erhält es einen kollektiven Anspruch. In der christlichen Religion wird das Kreuz sowohl als Zeichen für Schuld und Sühnung als auch als Zeichen für den Tod verstanden. Im positiven Sinn wird es gleichzeitig mit dem Heilsgrund, der Heilsgegenwart und der Heilshoffnung (2), also der Erlösung, verbunden. Jedoch steht die explizite Ausweisung als „Friedenskreuz“ im Widerspruch zum Verständnis des Wehrmachtssoldaten als Helden und zu den nachträglich angebrachten Devotionalien. Diese unterschiedlichen und zum Teil auch widersprüchlichen Botschaften, die das Kreuz in seinem Zustand 2015 vermittelte, galt es zunächst zu überprüfen und zu differenzieren, um das „Friedenskreuz“ im Sinne eines historischen Denkmals kontextualisieren zu können. Durch seine unterschiedlichen Zeit- und Bedeutungsebenen steht das Denkmal jedoch in seiner jetzigen Ausprägung auch für „eine Vergangenheit, die noch nicht wirklich historisch geworden ist, weil dessen Botschaft in einer unausgesprochenen Form noch Teil der Gegenwart“(3) ist.

Weder das Kreuz, so waren sich alle Beteiligten einig, noch die nachträglich am Kreuz angebrachten Attribute sollten entfernt werden. Denn genau durch das Negieren von der Realität der österreichischen Verstrickung in den Nationalsozialismus ist eine Unsichtbarkeit von etwas gleichwohl Anwesendem entstanden, die eine Renaissance rechter Tendenzen in einer „Generation der Enkelkinder“ erst ermöglicht. Dagegen stehen die Fakten. Diese wurden immer umfang- und aufschlussreicher – nicht zuletzt durch die in diesem Buch zusammengefassten Recherchen der Historiker Georg Kremser und Robert Streibel zu dem Einsatz der Kampfgruppe Jockisch in der Partisanenbekämpfung auf dem Balkan. Und umso wichtiger erschien es, gleichzeitig die Geschichte des Kreuzes sichtbarzu machen, sowie ein Zeichen gegen Kriegsverherrlichung und für ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein zu setzten. Es wurde also ein geladener Wettbewerb ausgeschrieben(4), den der Künstler Martin Krenn mit dem Entwurf „Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz“ gewann. Er stellt gleichzeitig eine Antithese zum in den 1960er Jahren aufgestellten Kreuz wie auch zu dessen Vereinnahmung in der Gegenwart dar und stellt diese zur Diskussion. Wichtig für das Verständnis der künstlerischen Arbeit ist, dass in der Ausschreibung nicht explizit um ein Konzept für ein Mahnmal gebeten wurden, sondern um eine künstlerische Gestaltung, die „die Be(deutung) und Nutzung des Denkmals sowie des Standorts seit der Errichtung des Kreuzes bis heute berücksichtigt“, das heißt also eine Verbindung von Geschichte und Gegenwart herstellt.

Das Mahnmal

Das „Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz“ ist eine konzeptuelle Arbeit, die verschiedene künstlerische Blickwinkel und Methoden des Künstlers vereint. Die Installation ist zweiteilig: Sie besteht aus einer einen halben Meter vor das Kreuz montierten Tafel aus Metallgewebe und aus fünf Arbeiten von Schülerinnen, die in der Umgebung des Kreuzes locker verstreut installiert sind. Kreuz und Tafel bilden als neue Einheit den zentralen Teil des Mahnmals. Die Tafel reicht bis zum Querbalken des Kreuzes. Auf das Metallgewebe ließ Martin Krenn die Fotomontage „Deutsche Eicheln 1933“ drucken, mit der sich der Künstler und Protagonist der politischen Fotomontage John Heartfield im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme mittels der Symbolik der Deutschen Eiche über die Selbstverherrlichung der Nationalsozialisten mokierte und vor der Kriegsgefahr warnte, die er in der Aufrüstung der Wehrmacht erkannte. Die Montage, die Heartfield für die Rückseite der Ber­liner Zeitschrift Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ, 1933, Vol. 12, No. 37) gestaltete, zeigt einen kleinwüchsigen Hitler, der eine Eiche gießt. Deren riesige, granatenförmige Eicheln tragen militärische Kopfbedeckungen wie Pickelhauben oder Stahlhelme sowie eine Gasmaske. Das Bild spricht für sich: Der Stamm der „Deutschen Eiche“, über den „verzwergten“ Hitler hinausgewachsen, scheint seine mächtigen Früchte kaum halten zu können und kippt, als wäre er angebrochen, beinahe aus dem Bild.

Die Transluzidität des Metallgewebes transportiert die zentrale Idee der künstlerischen Konzepts: Je nach Blickwinkel und Lichtbedingung entstehen unterschiedliche visuelle Legierungen von der Fotomontage mit dem Kreuz, den beigefügten Objekten oder der Natur. Die Devotionalien der Unbekannten werden dabei von John Heartfield Montage satirisch überblendet, von mit einem Haken­kreuz bemalten Helm, der für eine Vorahnung des Künstlers 1933 stehen mochte oder der Gasmaske, die an den verheerenden Gaskrieg während des Ersten Weltkrieges erinnerte. Die Entscheidung, das Kreuz in seiner aktuellen Form nicht zu verändern, ist damit Teil des künstlerischen Konzepts. Das Vorgefundene Ensemble wird in Frage gestellt und kommentiert. Die Installation als Ganzes ist als Aufforderung zu verstehen, sich mit dem „Friedenskreuz St. Lorenz“ und mit seinen geschichtlichen Bedingungen auseinanderzusetzen. Der Zweite Teil des Mahnmals besteht aus fünf Collagen. Sie wurden von Kremser Schülerinnen unter Anleitung von Martin Krenn und Gregor Kremser in einem halbjährigen Workshop gestaltet. Die Schülerinnen setzten sich in diesen mit der politischen Fotomontage Heartfields auseinander. In ihren Collagen thematisierten sie den Umgang mit Geschichte sowie die Bedeutung des Antifaschismus in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Gegenwart.

Die künstlerische Methode

Die künstlerische Methode, die Martin Krenn bei der Konzeption des Mahnmals anwendet, ist dem künstlerischem (Selbst-)Verständnis von John Heartfield sehr nahe. Heartfield stellte ab den 1920er Jahren einen neuen Typus des Kunstproduzenten dar, und zwar einen, der politisch Stellung bezieht. Er legte großen Wert darauf, dass seine Fotomontagen als heterogene, aus der Realität entnommene Zusammenstellungen zu erkennen waren, deren Bedeutung nicht in der Schaffung einer Illusion, sondern in der Bloßstellung dieser Realität mit den Mitteln der satirischen Überspitzung lag. Er schnitt vorzugsweise Bilder aus tagesaktuellen Medien aus, übersetzte dabei von einem Medium in ein anderes und erreichte mit starken Vereinfachungen maximale suggestive Aussagekraft. Die Losung der Konzeptkunst vorausnehmend, behauptet er: „Mitunter brauchte eine Fotografie nur einen kleinen Farbklecks zu bekommen, damit sie zu einer Fotomontage, zu einem Kunstwerk besonderer Art wurde“(5). Martin Krenn übernimmt diese Vereinfachung und übersetzt Heartfields Konzept in die Dreidimensionalität, indem er die Bild-Elemente aus der Komposition „Deutsche Eicheln 1933“ herausschneidet und sie vor das Kreuz und in die Landschaft setzt.

Krenn appropriiert, zitiert, kommentiert und greift in gesellschaftliche Prozesse ein. Die Beschäftigung mit dem Antifaschismus als Opposition gegen Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus wie auch gegen Kapitalismus oder Sexismus zieht sich durch etliche Projekte des Künstlers. Erinnerungs- und Gedenkarbeit ist dabei ein zentrales Thema. In seiner künstlerischen Praxis verschränkt Krenn Kunst bzw. künstlerische Forschung mit sozialem und politischem Aktivismus. Dies geschieht unter anderem über Kampagnen zu Bleiberecht, Asylwesen und Migrationsfragen oder durch seine Arbeit mit Jugendlichen. Seine künstlerischen Arbeiten seien grundsätzlich „sehr dialogisch angelegt“, sagt Martin Krenn, „es geht um Wahrnehmungsirritationen, um das Aufspüren und Vermitteln von Konfliktlinien durch Kunst und um die öffentliche Vermittlung“.

Für das Projekt „Gedenktafel Hotel Metropole“ (2015) entwi­ckelte er mit Schülerinnen der Wiener Gastgewerbefachschule Judenplatz über mehrere Monate hinweg ein temporäres Denk­mal in Form einer sozialen Skulptur zur Erinnerung an das Hotel Metropole am Wiener Morzinplatz, das von 1938 bis 1945 zum berüchtigten Gestapo-Hauptquartier wurde. Die Schülerinnen führten Interviews mit Zeitzeuginnen sowie Gespräche mit His­torikerinnen und Künstlerinnen. Die doppelte Bedeutung des Wortes „Tafel“ nutzend, wurde die „Gedenktafel“ zu einem Ort der Kommunikation, an dem die Schülerinnen Originalgerichte des ehemaligen Hotelrestaurants servierten und mit den Gästen über ihr Verständnis von Antifaschismus und dessen aktuelle Relevanz wie auch über ihre historische Recherche sprachen.

Neben seiner Beschäftigung mit interventionistischen und aktivistischen Erinnerungsarbeiten setzt sich Martin Krenn auch seit langem investigativ mit bestehenden Denkmälern ausein­ander. Jedes Denkmal habe eine bestimmte Bedeutung für die Geschichtspolitik, sagt der Künstler. In der 3-Kanal-Ton-Diainstal- lation „Memory in (Post-)Totalitarianism“ (2011) ging Martin Krenn als künstlerischer Forscherderevolutionären Entwicklung und Veränderung von Geschichtsbildern in totalitären und posttota­litären Gesellschaften sowie der Manifestation eines kollektiven und kulturellen Gedächtnisses nach. Dabei stellte er die Frage, „welche Spuren faschistische und kommunistische Ideologie bei der Nachfolgegeneration hinterlassen haben und welchen Einfluss die totalitäre Vergangenheit auf die Schaffung neuer politischer Räume hat“ (Krenn). Die Installation ermöglicht den Rezipientinnen eine audio-visuelle Reise durch Denk- und Mahn­male, Archive, Museen und Gedenkstätten in Deutschland und Rumänien, bei der Expertinnen unterschiedlicher Disziplinen wie auch Holocaust-Überlebende und Widerstandskämpfer zu Wort kommen.

Mit dem von ihm initiierten Wettbewerb zur Umgestaltung des Denkmals für den von 1897 bis 1910 amtierenden Wiener Bürgermeister Karl Lueger in der Wiener Innenstadt verband Martin Krenn künstlerische Arbeit und politischen Aktivismus. Luegers Amtszeit war bekanntlich sowohl durch den Bau großer Sozialeinrichtungen als auch durch den Einsatz massiver antisemitischer Propag­anda gekennzeichnet. 2009 griff Martin Krenn diese Ambivalenz auf und gründete im Rahmen seiner Lehrveranstaltung „Wider das Vergessen“ an der Wiener Universität für angewandte Kunst den „Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich“, der Aktivitäten wie Interviews mit Passantinnen organisierte und die Hochschule zur Ausschreibung eines offenen Wettbewerb veranlasste. Der von einer Jury aus 220 Einreichungen ausgewählte Sieger-Entwurf von Klemens Wihlidal – er sah vor, Statue und Sockel um 3,5 Grad nach rechts zu neigen(6) – wurde von der Stadt Wien nie umgesetzt. Jedoch hatte das Projekt eine hohe mediale Resonanz erfahren und eine öffentliche Diskussion ausgelöst.

Lorbeerkirsche, Eichen und Dadaismus

Die nachträglich auf dem Kreuz angebrachten Devotionalien scheinen zunächst eine eindeutige Symbolsprache zu sprechen. Begründet in der römischen Mythologie, gilt der Lorbeerkranz als Insignie der Sieger und Helden. Für den Siegeskranz am „Friedenskreuz“ wurde jedoch nicht der Echte Lorbeer, sondern die aus Kleinasien stammende Lorbeerkirsche, die nicht zur Familie der Lorbeergewächse gehört, verwendet. Diese beliebte aber invasive Zierde heimischer Vorgärten wird heute wegen ihrer vehementen Ausbreitungskapazität als Gefahr für die angestammte Vegeta­tion gesehen und ist zudem hochgiftig. Natürlich ist diese Diktion gefährlich, denn die Ausmerzung nicht einheimischer Pflanzen hatte eine hohe symbolische Bedeutung für die Nationalsozialis­ten, die diesbezüglich sogar Verordnungen erließen. Aber genau dieser kleine Fehlgriff führt uns auf die Spuren von John Heart- fields Denkprozessen. In „Deutsche Eicheln 1933“ karikierte er auch die pervertierte Pflanzensymbolik seiner Zeitgenossen, die sich mit der Eiche als Symbol für Unsterblichkeit und Standhaftigkeit identifizierten. Misst man der Pflanzensymbolik einen Wert bei, ist die Lorbeerkirsche nicht geeignet, der Heldenverehrung zu dienen. Diese satirische Umkehrung entspricht paradoxerweise dem dadaistischen Prinzip, das John Heartfield in seinen Werken anwandte. Dadaistisch, beinahe blasphemisch mutet aus der Sicht der Kunstgeschichte auch das Schild mit der Aufschrift „Achtung Videoüberwachung“ an, das an einer Stelle befestigt wurde, wo am christlichen Kreuz die Tafel mit der Beschriftung INRI(7) zu hängen pflegt. Eine Kamera scheint es im Umfeld des Kreuzes nicht zu geben. Am Rande dieser verdrehten Welt stellt sich die Frage, wer hier wen beobachten möchte oder beobachten muss.

Propaganda und Wahrheit

Die heartfieldsche Satire sollte die Wahrheit hinter der politischen Propaganda mit den Mitteln der Propaganda sichtbar machen. „Wenn ich Fotodokumente sammle und sie klug und geschickt gegenüberstelle, wird die agitatorisch-propagandistische Ein­wirkung auf die Massen enorm sein. Und das ist für uns das Wichtigste. Das ist die Grundlage unserer Arbeit. Darum ist es unsere Aufgabe, möglichst gut, stark und intensiv auf die Massen einzuwirken. Wenn es uns gelungen ist, dies zu erreichen, so haben wir eine wahre Kunst entstehen lassen“(8), schrieb 1931 ein enthu­siastischer John Heartfield, der nach seiner Flucht ab 1933 in der Emigration in Prag und später von London aus weiter politischen Widerstand gegen das Regime leistete. Für Heartfield waren die Begriffe „Propaganda“ und „Agitation“ noch positiv besetzt. Unter dem Einfluss totalitärer Systeme hat sich ihre Konnotation im Laufe des 20. Jahrhunderts allerdings verändert. Die historische Warnung des Künstlers, die bereits 1924 in der ersten politischen Fotomontage „Nach 10 Jahren: Väter und Söhne“ anklingt, hat hingegen an Aktualität nie verloren. Heartfield war einer der couragiertesten Unruhestifter seiner Zeit, ausgestattet mit einem scharfsinnigen Blick auf die politische Realität und einem bissigen Humor. Die Nationalsozialisten würdigten dies 1937 bei der Münchener Propa­gandaausstellung „Entartete Kunst“ mit der Klassifizierung in die Gruppe 4 der Entarteten Künstler: „Zerstörung des Wehrwillens“(9). Martin Krenn hat das „Friedenskreuz St. Lorenz“ mit Heartfields Zitat kontextualisiert und zu einem Mahnmal erweitert, das ein Zeichen gegen Kriegsverherrlichung und Faschismus setzt. Gleichzeitig ist es auch eine Hommage an die Zivilcourage an sich.

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1 Siehe dazu die Beiträge von Gregor Kremser und Robert Streibel in diesem Buch.

2 Vgl. KIRSCHBAUM ENGELBERT (Hg.). Lexikon christlicher Ikonografie, Bd. 2. Freiburg im Breisgau 1970. S. 570

3 ASSMANN ALEIDA. Ein Weckruf im Herzen der Stadt, in: ARBEITSKREIS ZUR UMGESTALTUNG DES LUEGERDENKMALS IN EIN MAHNMAL GEGEN ANTISEMITISMUS UND RASSISMUS (Hg.). Open Call. Handbuch zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals. Wien 2010. S.57

4 Zum Wettbewerb eingeladen waren Larissa Aharoni, Pia Lanzinger (die gemeinsam mit Michael Hauffen teilnahm), Martin Krenn und Heidi Schatzl.

5 HEARTFIELD JOHN, zitiert nach VON BEYME KLAUS. Das Zeitalter der Avantgarde. Kunst und Gesellschaft 1905–1955. München 2005. S. 491

6 Siehe hierzu: ARBEITSKREIS ZUR UMGESTALTUNG DES LUEGERDENKMALS IN EIN MAHNMAL GEGEN ANTISEMITISMUS UND RASSISMUS (Hg.). Open Call. Handbuch zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals. Wien 2010

7 Das Kreuz Christi war mit einer Tafel versehen. Nach Johannes 19,19 handelte es sich bei den Initialen INRI (für Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum) auf der Tafel um den Kreuztitel, mit dem der Rechtsgrund für die Verurteilung angegeben wurde.

8 HEARTFIELD JOHN, zitiert nach nach SIEPMAN ECKHARD. Montage: John Heartfield. Vom Club Dada zur Arbeiter-Illustrierten-Zeitung. Berlin 1992. S. 7

9 Vgl. VON BEYME KLAUS. S. 710

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Dieser Text ist erschienen in „Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz: Über die Verwicklung Wachauer Bürger im Partisanenkrieg im Zweiten Weltkrieg.“ Wachau Dunkelsteinerwald Regionalentwicklung (Hg.), Innsbruck: Studien Verlag. 2016 (S 103 – 115)