Dienstleistung: Fluchthilfe


Positionierung der Projektgruppe Lüneburg

Die Ausstellung „Dienstleistung Fluchthilfe“ ist das Resultat der Zusammenarbeit zwischen den Künstlern Oliver Ressler und Martin Krenn und einer Gruppe von StudentInnen der Universität Lüneburg. Unser Ausstellungsbeitrag umfasst ein Video zu antirassistischen Widerstandsformen und Perspektiven und eine Sammlung von kritisch-analytischen Zitaten. Diese Arbeiten basieren auf der theoretischen Auseinandersetzung mit den Themen Rassismus, Migration und Flucht in dem von Ulf  Wuggenig angebotenen Seminar „Die Konstruktion des Anderen im Kunstdiskurs“ sowie auf inhaltlichen Anregungen der Künstler, die sich bereits in vorangegangenen Projekten mit der Thematik beschäftigten.

Erste Ideen für eine praktisch-künstlerische Bearbeitung der Problematik ergaben sich durch einen gemeinsamen Besuch in Frankfurt/Oder an der deutsch-polnischen Grenze, wo Filmmaterial über die spezifische Situation der Stadt entstand sowie Gespräche mit Studierenden und Dozenten der Europa-Universität durchgeführt wurden. Diese Erfahrungen konnten wir für die Vorbereitung der anderen Interviews nutzen, die im ausschließlich von der Projektgruppe konzipierten und realisierten Video zu sehen sind. Es schließt thematisch an die Arbeit von Krenn und Ressler an, stellt jedoch zusätzlich einen lokalen Bezug her. Gesprächspartner waren zum einen das „Netzwerk gegen Rechts“, das direkt auf die Situation in Lüneburg reagiert – zum anderen Mitglieder von „Kanak Attak“, einer überwiegend aus MigrantInnen bestehenden Gruppe, die auf bekannte Formen von Identitätspolitik verzichtet und neue Wege für antirassistischen Widerstand sucht.

Während der Zusammenarbeit mit den beiden Künstlern wurden zwei Aspekte deutlich, die die gesamte Projektrealisierung prägten: einerseits deren prozesshafter Charakter, d.h. Inhalt und Form waren nicht vorgegeben und unantastbar, andererseits erfolgte schrittweise eine strukturelle Enthierarchisierung, so dass Künstler und ProjektteilnehmerInnen gleichberechtigt agieren konnten und gängige Rollenzuschreibungen damit hinterfragt und durchbrochen wurden. Gerade weil die Ausstellung vor allem die latenten, systembedingten Dimensionen von Rassismus und Diskriminierung thematisiert, schien uns eine Diskussion über ähnliche Mechanismen im Kunstkontext wichtig.

Außerdem wurde über zusätzliche Öffentlichkeitsarbeit nachgedacht, um dem Thema zu stärkerer Transparenz und Außenwirkung zu verhelfen. Resultat der Überlegungen waren Pläne, weitere Veranstaltungen im Ausstellungsraum zu realisieren, die ein erweitertes, an der Thematik interessiertes Publikum einbeziehen. 

Tina Dust, Uta Gielke, Maja Grafe, Nina Heiniein, Patricia Holder, Mara Horstmann, Sarah Kaeberich, Nina Koch, Susanne Neubronner, Astrid Robbers, Stig Oeveraas, Sabine Zaeske
 

Antirassistische Perspektiven
Ein Video der Projektgruppe Lüneburg

(Transkription – Ausschnitte aus dem Video)

Teil 1: Netzwerk gegen Rechts, Lüneburg:

Michael Waschk: Was kann alles Fluchthilfe sein? Es kann sein, Leute, die z.B. aus dem Gefängnis befreit werden, zu unterstützen, aus bestimmten Ländern in ein anderes Land zu kommen, damit sie dort nicht verfolgt werden – das ist auch eine Form von Fluchthilfe. Es gibt die unterschiedlichsten Auffassungen, was Fluchthilfe ist.

Sigrid Röseler: Fluchthilfe – der Begriff wird gebraucht, wenn es staatlich gewollt ist, wie bei den DDR-Flüchtlingen, denen aus der DDR rausgeholfen wurde. Das waren Fluchthelfer, die wurden belohnt – und wenn die heute jemanden über die Grenze helfen, heißen sie Schlepper, weil es nicht gewollt ist. So würde ich das erst mal unterscheiden, was ich unter Schlepper verstehe. Wenn geschleppt wird im kommerziellen Sinne für Kindesmissbrauch und Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden, dann finde ich das ganz schlimm. Das muß man immer sehr schön unterscheiden von der wirklichen Fluchthilfe – und da würde ich nie von Schleppern reden, auch wenn sie das gegen Bezahlung machen. Wenn Leute ihre Heimat verlassen, weil sie es da nicht mehr aushalten können, ob nun aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen – ich gehe immer davon aus: niemand verlässt freiwillig seine Heimat und da muß ihm geholfen werden und dementsprechend muß auch hier das Zuwanderungsgesetz wieder verändert werden. Was ich ganz schlimm finde, ist die Abschiebepraxis an den Flughäfen, wie die da behandelt werden. Wenn man da Bilder sieht oder Zeitungsartikel liest - und das soll ja nun noch verschärft werden, dass das Gefängnis direkt im Flughafen in Frankfurt gebaut werden soll – dann frage ich mich: wo sind wir? Und wir kriegen das alle mit und was ist der Unterschied zu den KZ im Faschismus? 

Dörte Hamann-Lau: Ich glaube, dieser Unterschied zwischen der gewollten DDR-Flucht und dem, was jetzt an Flüchtlingen nach Deutschland will – das ist auch ein regionales Phänomen. Lüneburg ist ja fast die ehemalige DDR-Grenze und die Elbe war so eine Ecke, an der es Flüchtlinge gab. Ich kann mich noch erinnern, dass es Leute gab, die über diese Grenze kamen, denen geholfen wurde. Ich habe auch Verwandte, die solche Flucht begangen haben, wo wir immer alle sagten: ein Glück, dass sie es geschafft haben, wo Flucht als etwas Geglücktes galt und gewünscht wurde. Und in der heutigen politischen Situation sind Flüchtlinge Parasiten, und es wird eigentlich immer nur darüber nachgedacht, wie man sie wieder loswerden kann. Niemand fragt, was ist eigentlich der Hintergrund für die Flucht. Wir sind, glaube ich, im Moment in einem Deutschland, wo wir anfangen, uns mehr und mehr einzuigeln – einmal institutionell durch die Verschärfung des Asylrechts, aber andererseits auch durch die wirklich absurden Dinge, die Leute erleiden müssen, bis sie dann hier bewahrheitet haben, dass sie ein Recht darauf haben, sich hier aufzuhalten. Das ist einfach entwürdigend.

Teil 2: Kanak Attak, Hamburg:

Massimo Perinelli: Kanak Attak probiert etwas Neues, was es vorher noch nicht gab im Antirassismus-Feld: der Versuch, mit einem Widerspruch produktiv umzugehen, nämlich einerseits zu sagen, wir machen eine Art von Selbstorganisierung, d.h. wir organisieren uns als Kanaken, also als Leute, die in Deutschland von den deutschen Verhältnissen in eine bestimmte kanakische Position getrieben werden, Andererseits sage wir aber auch, dass wir keine Identitätspolitik machen. Also wir verstehen uns nicht als Türken, Italiener oder Griechen und haben auch keinen positiven Bezug darauf und rücken damit auch ab von einer bestimmten Art von Selbstorganisierung, die es auch gab, vor allem Anfang der 90-er Jahre. Das heißt, wir machen keine Passkontrolle. Auch nicht bei unseren Mitgliedern.

Frage: Warum gibt es bei euch dann trotzdem den Oberbegriff Kanaken? Es wirkt ja eigentlich so, als wenn ihr euch gegen jegliche Kategorisierungen wendet – dann sagt ihr aber doch wieder Kanaken. Was ist die kanakische Position?“

Perinelli: Wir wenden uns nicht gegen jede Kategorisierung, weil: es gibt die Kategorisierung und wir greifen sie auf (...) und drehen sie um. Also wir sagen, wir organisieren uns als Kanaken und verstehen uns auch so. Trotzdem lehnen wir in letzter Instanz ab, zu erklären, was Kanaken sind. Wir können es nicht festmachen, nicht anhand von Blut oder Kultur.

Astrid Kusser: Es ist auch ein Versuch mitzuspielen, aber nach den eigenen Regeln. Also ich kann mir keine Volkszählung vorstellen, in der es dann eine Kategorie „Kanake“ gibt.

Perinelli: Wir können uns Kanaken nennen. Aber ich lasse mich sicherlich nicht von irgend jemand Kanake nennen. Das ist auch ein Punkt, selber zu bestimmen, wann man wer ist und diese Kategorie selber in die Hand zu nehmen und auch umzudrehen. Wir sind nicht die braven, angepassten Migranten. Gleichzeitig spielen wir natürlich auch mit diesem Klischee, Vorurteil, was Deutsche von MigrantInnen haben – nämlich genau dieses Kanak-Ghetto-Gangster-Ding. Wir nehmen das auf, machen aber unsere eigene Geschichte damit und enttäuschen die Erwartungen.

Vassilis Tsianos: Und es ist auch keine Umdeutung – es ist vor allem eine provokative Aneignung einer Zuschreibungsform, die nicht nur Zuschreibungsform ist, sondern gleichzeitig in dem Akt ihrer performativen Umsetzung eine Auslesungsmarkierung ist und die hat extrem reelle Effekte auf diejenigen, die als solche und auf diese Art kanakisiert werden. Es weist auf eine paradoxale Situation hin. Die Paradoxie besteht darin: tatsächlich, und das ist auch das Gute dabei, plädieren wir nicht dafür, dass die Kategorie Kanake in der Volksauszählung eingeführt wird. Genau die Unmöglichkeit der Instrumentalisierung einer solchen Kategorie verweist auf die Paradoxie dieser Verhältnisse, die im Alltag ganz real funktionieren: sie schaffen Kanaken und sie schaffen auch Positionierungsmöglichkeiten von kanakisierten Menschen. Und gleichzeitig ist es extrem paradox, weil es keinen legitimen Bezug zu legitimen Diskursen hat in der Öffentlichkeit. Und in dieser Paradoxie versuchen wir, einen Pol zu formulieren, wo Antirassismus seine defensive Rolle, also Selbstorganisierung plus Identitätspolitik, verlässt. Wir vertreten dagegen einen starken Ansatz bzw. ein großes Plädoyer für einen Antirassismus der Offensive: mit Humor, mit Hedonismus und gleichzeitig mit der Instrumentalisierung von allen möglichen medialen Repräsentationsformen die Verhältnisse zum Tanzen bringen, mindestens was die Kategorisierungskasten betrifft. Und der Rest ist Politik.
 

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