- Wer darf migrieren?
THE
VOICE bekämpft das Gesetz zur Residenzpflicht, wonach AsylbewerberInnen
ihren Landkreis nur mit einem „Urlaubsschein“ verlassen dürfen.
Cottbus,
Brandenburg
Jean
Jacques Effson Effa
(Aktivist
der selbstorganisierten Flüchtlingsorganisation THE VOICE):
Dieses
Jahr wurde auf dem Kongress in Jena der Entschluss gefasst, die Residenzpflicht
zu bekämpfen, die von Flüchtlingen eine Erlaubnis für das
Verlassen des Landkreises - z.B. für eine Fahrt nach Berlin - verlangt.
Der Kampf richtet sich gegen dieses Gesetz, weil es aufgrund dieses Gesetzes
sehr schwierig ist, sich zu treffen. Wenn ich in die Ausländerbehörde
gehe und einen Urlaubsschein verlange, um nach Jena zu einem Treffen von
THE VOICE zu fahren, dann ist das bereits ein Problem. Deshalb muß
ich zumeist ohne Urlaubsschein fahren. Ich sage mir, o.k., wenn ich eines
Tages erwischt werde, werde ich eingesperrt, weil ich frei sein wollte.
Das heißt, ich kann nicht mit einem Landkreis in meinem Kopf leben,
denn der Landkreis ist nicht nur physisch, sie wollen ihn auch zu einem
Teil unserer Gedanken machen. Ich bin aber als Person mit freien Gedanken
geboren. Wenn ich in Deutschland bin, bin ich in einem freien Land, und
es muß mir erlaubt sein, mich frei zu bewegen. O.k., eines Tages
wird mich die Polizei kontrollieren und ich werde ins Gefängnis eingesperrt,
aber auch wenn ich im Gefängnis bin, werden meine Gedanken frei bleiben.
In Deutschland
haben wir kein Recht, Schulen zu besuchen und Deutsch zu lernen. Wir bekommen
keine Deutschkurse und kein Geld, welche zu bezahlen. Wir werden daher
von der Gesellschaft ausgeschlossen. Es ist der beste Weg uns draußen
zu behalten, weil sie uns draußen behalten wollen. Sie wollen keinerlei
Kontakt. Und sie wollen auch, dass wir keinerlei Kontakt zu den Deutschen
aufnehmen. Da wir die Sprache nicht sprechen, ist das eine gute Möglichkeit,
uns draußen zu halten. Und es ich auch eine gute Möglichkeit,
auf uns mit dem Finger zu zeigen und zu sagen: „Diese Menschen sind kriminell.“
Da wir nicht mit ihnen kommunizieren können, können wir nicht
erklären, warum wir hier sind und niemand versteht uns. Sie können
unsere Kultur nicht verstehen, weil wir ihre Sprache nicht sprechen, es
ist sehr schwer. Viele Leute wissen nicht, dass ich nicht arbeiten darf,
und sie sagen, dass wir ihnen die Jobs wegnehmen und so weiter. Sie wissen
einfach nicht, dass wir nicht arbeiten dürfen. Sie wissen das nicht.
Ich habe keine Erlaubnis, meinen Landkreis zu verlassen. Sie wissen nicht,
dass ich jeden Monat nur 80 Mark in Bargeld zur Verfügung habe. Sie
wissen das nicht. Sie glauben, wir würden viel Geld bekommen. Und
weil wir nicht deutsch sprechen, ist es schwierig für uns zu erklären,
dass wir hier in Deutschland nicht in einem Palast wohnen, sondern in einem
offenen Gefängnis.
Wien,
Donaukanal
Grace
Latigo (politische Aktivistin, Künstlerin):
Als
ich in die „Illegalität“ – in Apostrophen natürlich – reingerutscht
bin, war mir das zwei Jahre lang nicht klar, ich hab das nicht glauben
können. Nur, plötzlich bekommst du das zu spüren, weil du
keine Arbeit bekommst, weil du keine Arbeitsbewilligung bekommst usw. und
usf. Dann hast du Ideen, du willst mit der Zeit gehen, du bist progressiv,
voll mit Elan; du kannst aber nicht, weil du nicht legal bist. Du kannst
das nicht machen, du kannst gar nichts machen. Und dann denkst du dir,
es gibt Politik, ich will mich melden, ich will etwas sagen. Du kannst
aber nicht mitwählen, du kannst nicht mitreden. Und dann irgendwann
mal stellst du dir die Frage, was bist du? Und dann kommst du zu einem
traurigen Resultat: Nichts. MenschIn der dritten Klasse. Und dann denkst
du dir, ich will aber weiter und nicht durch diese blöden Gesetze
dauernd gestoppt werden. Und dann entstehen die Komplikationen. Dann kriegst
du dort ein bisschen Hilfe und dort ein bisschen Hilfe. Ich sehe nicht
aus wie ein Opfer. Ich habe mich irgendwann einmal sehr zynisch eine „privilegisierte
Illegale“ genannt.
Ich
bin innerlich zerbrochen. Innerlich zerbrechen heißt, du kannst deine
Ziele nicht durchsetzen. Du kannst deine Arbeit nicht machen. Du kannst
deine Vorstellungen und Visionen nicht realisieren. Ich hab zwar im Endeffekt
einen Weg dafür gefunden, trotzdem hab ich nie die Anerkennung bekommen,
die ich verdiene, die mir gerecht wäre, und vor allem keinen Respekt.
D.h. du hast nonstop irgendeine FALSCHE IDENTIFIKATION. Ja, und dann irgendwann
mal hab ich angefangen traurig zu werden und depressiv. Aber ich wollte
diese Krankheit nicht bekommen und habe eine irrsinnige Wut bekommen. Ich
bin wütend auf euch. Ich bin irrsinnig wütend auf euch alle,
weil dieses System, diese Gesetze schuld sind, dass ich mein Leben, das
niemandem schaden soll, nicht leben kann, dass ich nicht meine Rechte habe.
Meine MenschInnenrechte, die stehen mir einfach zu! Und irgendwann wurde
ich zu einer Diskussion von „Kein Mensch ist illegal“ eingeladen, das damals
noch in der alten Besetzung mit evangelischen Diözesen war. Und plötzlich
sagt einer aus dieser Diözese, „Wir werden für euch sprechen“.
Ich sitze da und denke mir, „du musst nicht für mich sprechen, ich
kann für mich selber sprechen, ihr laßt mich nur nicht sprechen“.
Und ich bin aufgestanden und hab gesagt, „Guten Abend, mein Name ist Grace
Latigo, und ich kann für mich selber sprechen! Ich bin seit sieben
Jahren illegal.“ Und natürlich hat das ein irrsinniges Chaos verursacht
und ich musste den MenschInnen erklären, weshalb es wichtig ist, dass
sie mich sprechen lassen sollen. Also, einmal hab ich das für mich
gemacht, und wenn ich meinen Fall publik mache, dann denke ich auch an
die anderen Betroffenen, da ich eher von ihrer Situation ausgehen kann.
Ich verlange ja auch nicht von jeder, dass sie meine Situation nachvollziehen
kann. Ich verlange lediglich den Respekt vor der Situation dieser Menschen,
und diese Einsicht, diese Menschlichkeit, die daraus entstehen muss, zu
verstehen, was das bedeutet, plötzlich MenschIn der dritten Klasse
zu sein. Ein paar klare KöpfInnen, und es waren vor allem Frauen,
haben das verstanden. Und sie haben es mir auch erklärt, dass sie
das logisch verstehen können, obwohl es für sie schwer ist, dafür
ein Empfinden aufzubauen. Und sie haben mich unterstützt. Dann ist
daraus eine Kampagne entstanden und ich hab dann wirklich innerhalb von
einer Woche mein Visum bekommen, auch mein Bruder. Und das verdanke ich
– perverser Weise – den Medien und dem Druck; es war wirklich ein interessanter
Fall. Ob sich diese Situation für diese „Grauzone-MenschInnen“, –
MenschInnen, das sag ich am liebsten –, geändert hat, das glaub ich
nicht. Ich hab das immer wieder politisch angesprochen: Die sofortige Legalisierung
der MenschInnen, die zum Teil seit 20 Jahren in Österreich leben,
wodurch diese „Papierlosigkeit“, dieser merkwürdige Zustand der so
genannten Illegalität entsteht. Aber das haben sie nicht gemacht.
Ein
weiterer irrsinnig wichtiger Punkt ist: Wie weit hast du dich wirklich
mit Rassismus und Diskriminierungen auseinandergesetzt, du. Das ist nicht
so einfach. Das ist wie eine Geschichte. So, wie du geschichtlich über
den Zweiten Weltkrieg lernen musst, genauso musst du über diese mörderische
Ideologie Rassismus lernen.
- Zur Fluchthilfe
Bodo
Kaping (Bundesgrenzschutzamt Frankfurt/Oder):
Ja,
mein Name ist Bodo Kaping, ich bin 42 Jahre alt und leite das Hauptsachgebiet
Einsatz im Bundesgrenzschutzamt Frankfurt/Oder.
Krenn/Ressler:
Könnten Sie den Unterschied zwischen Schleppern, Schleusern und Fluchthelfern
darlegen?
Bodo
Kaping: Also, für mich gibt’s da wenig Unterschiede. Es sind Menschen,
die aus dem Leid von anderen Menschen Kapital schlagen. Die verdienen Geld
damit, indem sie Gesetze übertreten, indem sie Hilfe anbieten und
dabei bewußt in Kauf nehmen, dass sie das Leben, die Gesundheit der
Menschen auf eine unverantwortliche Weise aufs Spiel setzen. Und die Gewinnspannen,
die im Bereich der Schleusung erzielt werden, sind ähnlich hoch wie
im Drogenhandel, nur dass es hierbei um Menschen geht, die dort durch kriminelle
Machenschaften über die Grenzen gebracht werden.
Wir
sprechen von Schleusungen, von Schleusern und von Geschleusten. Das ist
unser Sprachgebrauch. Schlepper ist so ein Begriff, der immer wieder gebraucht
wird, aber bei uns im Sprachgebrauch findet er keine Anwendung. Und von
Fluchthelfern sprechen wir in unserem Sprachgebrauch auch nicht. „FLUCHTHELFER“
ist, wenn wir zurückschauen in die Geschichte, eigentlich anders belegt,
der Begriff IST POSITIV BELEGT. Das waren nämlich diejenigen, die
zu Zeiten des „Eisernen Vorhangs“ Menschen von Ost nach West gebracht haben.
K/R:
Es
gibt ja sehr viele Menschen, die ihren Verwandten beim illegalen Grenzübertritt
helfen. Das sind dann also auch schon Schleuser in Ihrem Sprachgebrauch?
Bodo
Kaping: Sicherlich. Sie begehen eine Straftat.
K/R:
Wenn sie ihren eigenen Verwandten hierher holen, sind sie aber nicht menschenverachtend?
Bodo
Kaping: Es ist nicht unsere Aufgabe, das zu bewerten.
K/R:
Ich finde schon, dass bei Ihnen bewertet wird. Es gibt zum Beispiel ein
Flugblatt des BGS mit dem Titel „Vorsicht Schleuser!“ und da steht dann:
„Ihre Information hilft, die Täter zu fassen und den menschenverachtenden
Schleusern das Handwerk zu legen.“ Das heißt, da wird sehr wohl verallgemeinert
und bewertet!
Bodo
Kaping: Ich habe es vorhin schon einmal gesagt. Wer versucht, Gesetze
der Bundesrepublik Deutschland zu übertreten, muß damit rechnen,
dass er bestraft wird. Sie müssen ja sehen, menschenverachtend hat
etwas damit zu tun: Es werden Menschenleben in Gefahr gebracht. Diese Grenze
ist, ich sagte es, gekennzeichnet durch die Flüsse Oder und Neisse.
Die Neisse ist in den meisten Monaten des Jahres kein großes Hindernis,
ist ein Flüßchen, oftmals trocken. Aber es gibt auch Monate,
im Frühjahr, im Herbst, wo aus diesem kleinen Flüßchen
ein etwas größerer Fluss, auch ein gefährlicher Fluss wird!
Und wer dort bei Nacht und Nebel jemanden eben mal so über die Grenze
bringt, der arbeitet schon menschenverachtend, weil er sie nämlich
in eine Gefahr bringt, die er nicht abschätzen kann. Dadurch ist,
aus welchen Motiven auch immer, immer irgendwo ein Aspekt dabei, dass dort
Leib und Leben der Menschen in Gefahr gebracht wird. Und das hat schon
etwas Menschenverachtendes.
K/R:
Dann wären aber die Fluchthelfer/Fluchthelferinnen, die in der ehemaligen
DDR Fluchthilfe gemacht haben, genauso menschenverachtend, weil sie haben
die Flüchtlinge auch in Gefahr gebracht?
Bodo
Kaping: Ich will diese Sache jetzt dort nicht kommentieren.
In
Deutschland werden seit Anfang 1997 TaxifahrerInnen wegen der Beförderung
von Menschen ohne Papiere zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Berlin,
Taxistas
Hans
Heim (Taxilenker, Taxistas-Aktivist, Berlin):
Ich
heiße Hans, fahre Taxi im Rahmen von einem kleinen Taxikollektiv
in Kreuzberg in Berlin. Uns gibt es seit so 15, 20 Jahren nehme ich mal
an. Ich selber bin noch nicht so lange dabei, seit 6 – 7 Jahren.
Die
Taxifahrer wurden vom BGS, vom Bundesgrenzschutz, aufgefordert mit ihm
zu kooperieren. Sie sollen den BGS informieren, wenn sie Personen laden,
die verdächtig seien, dass sie illegal über die Grenze gekommen
sein könnten.
Da
heißt dann die Aufforderung: „Lassen Sie sich von Schleuserbanden
nicht missbrauchen.“ Also klar, der Bundesgrenzschutz sagt, er bekämpfe
Schleuserbanden. Er bekämpfe nicht die Flüchtlinge, aber in der
Praxis bekämpft er natürlich die Flüchtlinge, denn aufgegriffen
werden zunächst einmal Flüchtlinge. Da ist dann vielleicht auch
einer dabei, der berufsmäßig oder gegen Geld die Leute über
die Grenze gebracht hat. Aber auch wenn er nicht dabei ist, die Flüchtlinge
werden aufgegriffen, sie werden abgeschoben und sie werden verhört
usw.
Diese
ganze Sprachregelung mit diesen „Schleuserbanden“ dreht die Wirklichkeit
um. Dann diese Formulierung: „Nehmen Sie keine offensichtlich illegal eingereisten
Personen in Ihrem Taxi mit.“ Da gab es die große Diskussion, ja,
was ist denn eine „offensichtlich illegal eingereiste Person“? Der Taxifahrer
darf gar nicht die Personalien kontrollieren, er ist ja kein Hoheitsträger.
Er darf gar nicht nach dem Personalausweis fragen. Also kann er gar nicht
wissen, ob jetzt jemand illegal eingereist ist oder nicht. Wie sieht man
das? Vor Gerichten kamen dann Aussagen wie: „Ja, an der Kleidung, an der
nassen Kleidung. Man müsse es den Leuten ansehen, dass sie über
Berge gelaufen wären oder sonst was.“ Ja, gut, wenn ich erzählen
würde, was ich schon alles für Leute bei mir hier mitten in Berlin
mitgenommen hab; was ich mir dabei alles denken könnte, wo die herkommen,
was die gemacht haben, ob die einen Bankraub gemacht haben, oder ob die
aus dem Wasser gekrochen sind, weil sie fast ertrunken wären? Ich
habe einmal einen transportiert, der hatte geblutet wie eine Sau, was weiß
ich wo der herkommt?
Da
mache ich mir keine Gedanken. Und wir sind auch als Taxifahrer nicht gehalten,
uns Gedanken zu machen, warum eine Person in dem Zustand jetzt bei mir
ins Taxi steigt. Das ist eine Zumutung auch an uns Taxifahrer.
Ja,
und dann geht’s gleich weiter: „Teilen Sie Anwerbungsversuche oder andere
derartige Feststellungen uns oder jeder anderen Polizeidienststelle mit;
auf Wunsch auch diskret.“ Also, das ist nun die offene Aufforderung zur
im Grunde genommenen grenzenlosen Denunziation, denn es trifft dann jeden,
der nur irgendwie anders aussieht, auch wenn er einen deutschen Pass hat.
Den sollte man also bei der Polizei melden und die Bullen hinter ihm herhetzen.
Also, das ist einfach jenseits von allem, was man nur irgendwie als anständig
und vertretbar bezeichnen kann. Aber es ist die Realität.
Es
kann z.B. Taxifahrern passieren, dass sie angesprochen werden, ob sie einen
Fahrgast nach Zirndorf transportieren.
Das
ist die offizielle Aufnahmestelle für Asylbewerber in der Bundesrepublik.
So, und wenn ich jetzt als Taxifahrer jemanden nach Zirndorf transportiere,
ist das eine große Strecke, ich werde dafür ungefähr 2
Mark pro Kilometer nehmen und das ist ein ganz schöner Batzen Geld.
Aber gut, die zahlen das, um dort hinzukommen.
Aber
wenn ich das jetzt mache, dann bin ich plötzlich ein Schleuser, obwohl
ich ja eigentlich nur einem Flüchtling zu seinem Grundrecht auf Asyl
verhelfen will, das ihm das deutsche Gesetz zuschreibt. Schon bin ich ein
Schleuser. Und das kann ja nicht sein; ist aber so.
Also,
da schreiben sie hier über die Konsequenzen, praktisch vorausgreifend
auf das, was damals noch gar nicht Realität war: „Bei der Mitwirkung
an illegalen Grenzübertritten ist mit folgenden Konsequenzen zu rechnen:
Freiheits- oder Geldstrafe, eventuelle Einziehung des Fahrzeuges oder auch
Entzug der Konzession als Taxiunternehmer.“ Alle drei Konsequenzen wurden
unterdessen konsequent praktiziert. Der Paragraf, auf den sie sich berufen,
ist der über das Schleuserbandenwesen. Und du bist dann als Taxifahrer
ein Mitglied einer Schleuserbande und wirst zu einer Gefängnisstrafe
von 1 bis 10 Jahren verknackt. Das ist schwere Kriminalität in die
du verwickelt wirst, wenn du diesen Unverschämtheiten hier nicht genüge
tust. |