Dienstleistung:
Grenzüberschreitung
Vom Produktivwerden
abgestandener Begriffe durch Transfer aus dem Kunstkontext in konkrete
politische Umfelder
Im Graubereich zwischen
Kunst und Politik kommt es nicht selten vor, dass die AkteurInnen zwischen
allen Sesseln hindurch fallend weder wissen was sie tun noch auch nur irgendwelche
Effekte erzielen; nicht so die Wiener Künstler Martin Krenn und Oliver
Ressler, die in ihrem aktuellen Projekt "Dienstleistung: Fluchthilfe" kunst-
und politikrelevante Fäden aufgreifen, zugleich relativ unverkrampft
sowohl im Kunstfeld wie im politischen Feld agieren.
Um ein Gegengewicht
gegen die Ablenkungsmanöver der Mainstream-Medien von der verschärften
Abschottung Schengen-Europas, gegen die Verschiebung des Diskurses von
der Problematik des exklusiven StaatsbürgerInnenrechts hin zur sekundären
Thematisierung individueller Flüchtlingsschicksale und komplementärer
Feindbilder, konkret gegen die zunehmend hegemoniale (Sprach-)Politik der
Denunzierung von Fluchthilfe als "Schleuserei", "Schlepperunwesen", "Menschenschmuggel"
und "Sklaverei" zu setzen, haben Ressler und Krenn ein Propaganda-Projekt
für Migration gestartet, vor allem aber für die Menschen und
Organisationen, die sich der Organisierung von Fluchthilfe widmen.
Das Projekt stützt
sich im wesentlichen auf zwei mediale Outputs, die in unterschiedliche
Öffentlichkeiten intervenieren: auf das knapp einstündige Video
"Dienstleistung: Fluchthilfe" und eine postwurfgesendete Gratiszeitschrift
mit dem sinnigen Titel "Neues Grenzblatt". Der Zugang von Ressler und Krenn
ist in beiden Fällen ein klar parteilicher. Das ist gut so, denn die
Schlagzeilen vom modernen Sklavenhandel lassen sich nicht mit vornehmer
Distanzierung konterkarieren.
Das Video, vorerst
für eine Ausstellung im Kunstraum der Uni Lüneburg und für
ein Spezialprogramm des österreichischen Filmfestivals Diagonale konzipiert,
basiert auf der Selbstrepräsentation von MigrantInnen, AkteurInnen
aus antirassistischen Organisationen, aber auch Abschiebebeamten, und erreicht
dabei eine satte Intensität. Die vielfärbigen, die komplexen
Zusammenhänge oft zwangsläufig stark verkürzenden, seltener
auch in ihrer Emotionalität naiv-moralistischen Aussagen liefern dennoch
überzeugende Puzzleteile für die Konstruktion eines "anderen"
Bilds konkreter Praxen der "Grenzüberschreitung".
Die Informationsbroschüre
"Neues Grenzblatt", ebenfalls in Kooperation mit antirassistischen Gruppen
und MigrantInnenorganisationen produziert, bewußt populär und
in Anlehnung an volkstümliche Vereinszeitungen gestaltet, wurde im
April 2001 entlang der gesamten EU-Außengrenze der Steiermark an
12000 Haushalte versandt. Inhaltlich wie sprachlich niederschwellige Beiträge
sollten eine breite Öffentlichkeit interessieren und "Fluchthilfe
als Service mit Qualität" bewerben, mehr noch: die Aktivierung von
BewohnerInnen der Grenzregion als FluchthelferInnen nach sich ziehen. Letzteres
dürfte wohl als absichtlich utopisch gesetztes Ziel zu verstehen sein,
dafür ist der Inhalt des Grenzblatts ein erstaunlich gutes Beispiel
für die Möglichkeit, minoritäre und komplexe Sachverhalte
relativ allgemein verständlich zu vermitteln. Die gegenhegemoniale
Attacke, in Begriffs- und Titelwahl aufs erste ziemlich plakativ betrieben,
hatte Erfolg: Was in den Mainstream-Medien pauschal unter dem Sigel "Schlepperbanden"
denunziert wird, mutiert nicht nur im Kunstfeld, sondern auch in dem einen
oder anderen steirischen Gasthaus zur "Dienstleistung: Fluchthilfe".
Mit der Lupe des
Kunstdiskurses gelesen zitieren Ressler und Krenn im Titel den Begriff
und das Phänomen der "Kunst als Dienstleistung": Mitte der Neunziger
wurde unter diesem Label nicht zuletzt mit ironisch-affirmativem Anklang
auf die problematischen Anteile einer allzu reformerisch-mikropolitischen
Projektkunst hingewiesen, die sich im Laufe der Neunziger unter Aufgabe
ihres Störpotentials in den Dienst des Sozialen, der "Gemeinschaft"
gestellt hatte, bis hin zum Service für die Organisationsentwicklung
von multinationalen Konzernen. Einige Jahre, nachdem das Thema Service
und Dienstleistung im Kunstkontext abgefeiert worden war, greifen die Wiener
Künstler nun diesen Fokus auf, um ihn allerdings in einer überraschenden
Wendung zu revitalisieren. Im Kontext der Fluchthilfe korreliert der Begriff
Dienstleistung nicht mehr mit einer Tendenz der Entpolitisierung von Kunst,
sondern mit einer der Entkriminalisierung kommerzieller, humanitärer
und politischer Fluchthilfe. Mit dieser politischen Aufladung ergibt sich
auch die Konkretisierung eines weiteren verwaschenen Modeworts der 90er,
der Grenzüberschreitung: Aus der vagen Utopie einer Grenzüberschreitung
von der Kunst ins Soziale wird erstens, inhaltlich und mit der Fokussierung
auf Fluchthilfe, eine radikal zugespitzte Spielart der Grenzüberschreitung,
zweitens, formal und in der Überwindung aller Abstraktion von Feldgrenzen,
eine konkrete transversale Zusammenarbeit mit AkteurInnen, die ihre spezifischen
Kompetenzen mit denen anderer verknüpfen. Im speziellen Projekt sind
das MigrantInnen als ProtagonistInnen des Videos, antirassistische Organisationen
als Inhalts-Lieferantinnen für das "Neue Grenzblatt".
Damit ergibt sich
nicht nur eine Kontinuitätsachse von früheren Kooperationen
Resslers und Krenns
wie "Gelernte Heimat" (Graz, 1996) und "Institutionelle Rassismen" (Wien,
1997), sondern auch ein weit allgemeinerer Zusammenhang zur - vor allem
in Antiglobalisierungs-Kontexten sich entwickelnden - transversalen Kooperation.
In Österreich hat sich diese doppelte (weil transnationale und felderübergreifende)
Transversalität vor allem im Umfeld des Widerstands gegen die reaktionäre
schwarzblaue Regierung seit Anfang 2000 verstärkt ausgebildet. In
Plattformen wie gettoattack, Performing Resistance und Volkstanz, in temporären,
regionalen Invasionen wie der Kärntner Kulturkarawane und in der MigrantInnen-Mobilisierung
der Wiener Wahl Partie arbeiteten KünstlerInnen mit AktivistInnen
aus dem politischen Feld zusammen, als hätte es nie eine Dichotomie
zwischen Kultur- und Politlinken gegeben. Auch als Output dieser produktiven
und konkreten Entwicklung der schon in den Siebzigern von Guattari und
Foucault theoretisch geforderten Transversalität kann Dienstleistung:
Fluchthilfe interpretiert werden: Künstler wie Krenn und Ressler haben
gelernt, sich nicht mehr als universelle Intellektuelle wichtig zu machen,
sondern in temporären Kooperationen mit politischen AktivistInnen
an einer neuen Form der Dienstleistung Gegenöffentlichkeit zu arbeiten.
Gerald Raunig
ist Philosoph und Kunsttheoretiker, lebt in Wien
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