Dienstleistung: Fluchthilfe

Text von Gerald Raunig, Dienstleistung: Grenzüberschreitung, 
ak - analyse & kritik, Nr. 452, 7/2001
 
Dienstleistung: Grenzüberschreitung 
Vom Produktivwerden abgestandener Begriffe durch Transfer aus dem Kunstkontext in konkrete politische Umfelder 

Im Graubereich zwischen Kunst und Politik kommt es nicht selten vor, dass die AkteurInnen zwischen allen Sesseln hindurch fallend weder wissen was sie tun noch auch nur irgendwelche Effekte erzielen; nicht so die Wiener Künstler Martin Krenn und Oliver Ressler, die in ihrem aktuellen Projekt "Dienstleistung: Fluchthilfe" kunst- und politikrelevante Fäden aufgreifen, zugleich relativ unverkrampft sowohl im Kunstfeld wie im politischen Feld agieren. 

Um ein Gegengewicht gegen die Ablenkungsmanöver der Mainstream-Medien von der verschärften Abschottung Schengen-Europas, gegen die Verschiebung des Diskurses von der Problematik des exklusiven StaatsbürgerInnenrechts hin zur sekundären Thematisierung individueller Flüchtlingsschicksale und komplementärer Feindbilder, konkret gegen die zunehmend hegemoniale (Sprach-)Politik der Denunzierung von Fluchthilfe als "Schleuserei", "Schlepperunwesen", "Menschenschmuggel" und "Sklaverei" zu setzen, haben Ressler und Krenn ein Propaganda-Projekt für Migration gestartet, vor allem aber für die Menschen und Organisationen, die sich der Organisierung von Fluchthilfe widmen. 
Das Projekt stützt sich im wesentlichen auf zwei mediale Outputs, die in unterschiedliche Öffentlichkeiten intervenieren: auf das knapp einstündige Video "Dienstleistung: Fluchthilfe" und eine postwurfgesendete Gratiszeitschrift mit dem sinnigen Titel "Neues Grenzblatt". Der Zugang von Ressler und Krenn ist in beiden Fällen ein klar parteilicher. Das ist gut so, denn die Schlagzeilen vom modernen Sklavenhandel lassen sich nicht mit vornehmer Distanzierung konterkarieren.
Das Video, vorerst für eine Ausstellung im Kunstraum der Uni Lüneburg und für ein Spezialprogramm des österreichischen Filmfestivals Diagonale konzipiert, basiert auf der Selbstrepräsentation von MigrantInnen, AkteurInnen aus antirassistischen Organisationen, aber auch Abschiebebeamten, und erreicht dabei eine satte Intensität. Die vielfärbigen, die komplexen Zusammenhänge oft zwangsläufig stark verkürzenden, seltener auch in ihrer Emotionalität naiv-moralistischen Aussagen liefern dennoch überzeugende Puzzleteile für die Konstruktion eines "anderen" Bilds konkreter Praxen der "Grenzüberschreitung". 
Die Informationsbroschüre "Neues Grenzblatt", ebenfalls in Kooperation mit antirassistischen Gruppen und MigrantInnenorganisationen produziert, bewußt populär und in Anlehnung an volkstümliche Vereinszeitungen gestaltet, wurde im April 2001 entlang der gesamten EU-Außengrenze der Steiermark an 12000 Haushalte versandt. Inhaltlich wie sprachlich niederschwellige Beiträge sollten eine breite Öffentlichkeit interessieren und "Fluchthilfe als Service mit Qualität" bewerben, mehr noch: die Aktivierung von BewohnerInnen der Grenzregion als FluchthelferInnen nach sich ziehen. Letzteres dürfte wohl als absichtlich utopisch gesetztes Ziel zu verstehen sein, dafür ist der Inhalt des Grenzblatts ein erstaunlich gutes Beispiel für die Möglichkeit, minoritäre und komplexe Sachverhalte relativ allgemein verständlich zu vermitteln. Die gegenhegemoniale Attacke, in Begriffs- und Titelwahl aufs erste ziemlich plakativ betrieben, hatte Erfolg: Was in den Mainstream-Medien pauschal unter dem Sigel "Schlepperbanden" denunziert wird, mutiert nicht nur im Kunstfeld, sondern auch in dem einen oder anderen steirischen Gasthaus zur "Dienstleistung: Fluchthilfe". 

Mit der Lupe des Kunstdiskurses gelesen zitieren Ressler und Krenn im Titel den Begriff und das Phänomen der "Kunst als Dienstleistung": Mitte der Neunziger wurde unter diesem Label nicht zuletzt mit ironisch-affirmativem Anklang auf die problematischen Anteile einer allzu reformerisch-mikropolitischen Projektkunst hingewiesen, die sich im Laufe der Neunziger unter Aufgabe ihres Störpotentials in den Dienst des Sozialen, der "Gemeinschaft" gestellt hatte, bis hin zum Service für die Organisationsentwicklung von multinationalen Konzernen. Einige Jahre, nachdem das Thema Service und Dienstleistung im Kunstkontext abgefeiert worden war, greifen die Wiener Künstler nun diesen Fokus auf, um ihn allerdings in einer überraschenden Wendung zu revitalisieren. Im Kontext der Fluchthilfe korreliert der Begriff Dienstleistung nicht mehr mit einer Tendenz der Entpolitisierung von Kunst, sondern mit einer der Entkriminalisierung kommerzieller, humanitärer und politischer Fluchthilfe. Mit dieser politischen Aufladung ergibt sich auch die Konkretisierung eines weiteren verwaschenen Modeworts der 90er, der Grenzüberschreitung: Aus der vagen Utopie einer Grenzüberschreitung von der Kunst ins Soziale wird erstens, inhaltlich und mit der Fokussierung auf Fluchthilfe, eine radikal zugespitzte Spielart der Grenzüberschreitung, zweitens, formal und in der Überwindung aller Abstraktion von Feldgrenzen, eine konkrete transversale Zusammenarbeit mit AkteurInnen, die ihre spezifischen Kompetenzen mit denen anderer verknüpfen. Im speziellen Projekt sind das MigrantInnen als ProtagonistInnen des Videos, antirassistische Organisationen als Inhalts-Lieferantinnen für das "Neue Grenzblatt". 
Damit ergibt sich nicht nur eine Kontinuitätsachse von früheren Kooperationen 
Resslers und Krenns wie "Gelernte Heimat" (Graz, 1996) und "Institutionelle Rassismen" (Wien, 1997), sondern auch ein weit allgemeinerer Zusammenhang zur - vor allem in Antiglobalisierungs-Kontexten sich entwickelnden - transversalen Kooperation. In Österreich hat sich diese doppelte (weil transnationale und felderübergreifende) Transversalität vor allem im Umfeld des Widerstands gegen die reaktionäre schwarzblaue Regierung seit Anfang 2000 verstärkt ausgebildet. In Plattformen wie gettoattack, Performing Resistance und Volkstanz, in temporären, regionalen Invasionen wie der Kärntner Kulturkarawane und in der MigrantInnen-Mobilisierung der Wiener Wahl Partie arbeiteten KünstlerInnen mit AktivistInnen aus dem politischen Feld zusammen, als hätte es nie eine Dichotomie zwischen Kultur- und Politlinken gegeben. Auch als Output dieser produktiven und konkreten Entwicklung der schon in den Siebzigern von Guattari und Foucault theoretisch geforderten Transversalität kann  Dienstleistung: Fluchthilfe interpretiert werden: Künstler wie Krenn und Ressler haben gelernt, sich nicht mehr als universelle Intellektuelle wichtig zu machen, sondern in temporären Kooperationen mit politischen AktivistInnen an einer neuen Form der Dienstleistung Gegenöffentlichkeit zu arbeiten. 

Gerald Raunig ist Philosoph und Kunsttheoretiker, lebt in Wien
 

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