Leserbrief
von Leonardo H.
Zum
Projekt „Dienstleistung: Fluchthilfe". Ich habe im Augustin einen Artikel
gelesen, der v.a dieses „Grenzblatt" oft zitiert und dabei ist mir schlecht
geworden. In der Einleitung das Dover-Unglück erwähnen und dann
Schlepper als verwantwortungsvolle Fluchthelfer preisen? Irgendwo geht
mir da sehr die Menschlichkeit ab. Vielleicht liegt es an mir, aber ich
sympathisiere um einiges mehr mit Flüchtlingen, als mit Leuten, die
aus deren Elend das große Geld machen.
Einige
Zitate empfand ich dann auch als ganz schön zynisch: "das Prinzip
des freien Marktes" soll irgendwas regulieren? Noch dazu bei illegalen
Aktionen? In was für einer Welt lebt ihr eigentlich? "Der Dienstleistungsanbieter
muss darauf achten, dass durch die angebotene Hilfe die Flucht erfolgreich
verläuft"? Kennst Du Flüchtlinge, die ihr Geld zurückbekommen
haben, weil sie wieder abgeschoben worden sind? Gibt es Schmerzensgeld
für Angehörige von erstickten Schlepplingen? Ist der zweite Einsreiseversuch
vielleicht gratis, falls der erste
danebengeht?
Der "Dienstleistungsanbieter" muß nur auf zwei Dinge achten: darauf,
daß alle schon im voraus bezahlen und darauf, selber nicht erwischt
zu werden.
Oder
vielleicht lieg ich auch komplett falsch – klär mich auf, wenn du
kannst.
Nachdem
ich mir dann eure Website angeschaut habe, war ich insofern etwas besänftigt,
da ihr auch zu Migrantinnen-Projekten weiterlinkt und sie kurz vorstellt,
aber trotzdem: bei eurem Projekt hab ich manchmal das Gefühl es geht
einfach nur um ,Gegeninformation total'. Darüber, daß die westlichen/europäischen
Regierungen und Politiker (unter dem Einfluß von rechten Massenmedien)
in hohem Ausmaß für die Flüchtlingsproblematik verantwortlich
sind, müssen wir nicht diskutieren. Aber wo Menschenleben so ohne
weiteres aufs Spiel gesetzt werden, hört sich bei mir das "We can
never hate the player - we can only hate the game" Verständnis auf.
Vielleicht
habe ich mir eure Seite nur zu oberflächlich angeschaut, aber was
mir sehr abgeht und was meiner Meinung nach bei einem solchen Projekt nicht
fehlen dürfte ist ein genau recherchierter Einblick in die Praktiken
von Schleppern, insbesondere - was für horrende (und in keinster Weise
rechtfertigbare) Beträge verlangt werden, - was Flüchlinge alles
auf sich nehmen, um diese aufzubringen, - wie oft abkassiert wird - ohne
"Dienstleistung" und ohne Risiko einer Sanktion (durch wen auch), - unter
was für Bedingungen die Überfahrten dann erfolgen - ohne Sauerstoff,
Wasser, Nahrung, Papiere, etc., - wie die Schlepper dann bei Problemem
reagieren - nämlich indem sie alle Flüchltinge (Männer,
Frauen, Kinder) im Stich lassen - vielleicht zu wenig motiviert weil schlecht
bezahlt?
- ....
Das
Thema Frauenhandel habt ihr ganz ausgeklammert, oder kommt da noch ein
Projekt auf uns zu : "Weiblich, ledig, jung, sucht - Frauenhandel verhilft
einsamen Singles zum Traummann".
Sicher
gibt es auch echte Fluchthelfer, die leisten dann aber wirkliche humanitäre
Arbeit und bezahlen nur ihren eigenen Aufwand und funktionieren nicht im
kapitalistischen Kontext - da sind dann die Schlepper zuhause - mit allem
was dazugehört, Gewinnmaximierung an erster Stelle.
Irgendwie
hab ich auch das Gefühl, als ob mitmenschlich denkende Fluchthelfer
mit der Gleichsetzung mit kriminellen Schlepperorganisationen wie das bei
euch passiert, alles andere als ihre Freude hätten. Etwas Differenzierung
hätte eurer Sache vielleicht viel helfen können. Denn viele Schlepper
sind einfach nur kriminell, und haben selbst Menschenleben auf dem Gewissen
- genau wie z.B. die österreichische Regierung (prominentestes Opfer
Marcus O.).
Vielleicht
seh ich das auch zu eng, aber mir kommt es so vor: Ihr seid einfach zu
self-centered, für euch besteht die Welt aus eurem Heimatland (inklusive
fucked-up Regierung und Scheiß-Klima, darüber brauchen wir gar
nicht streiten) bzw. Festung Europa und dem Ausland. Und wenn die Rechte
sagt: alle im Ausland schlecht, sagt ihr: alle im Ausland gut. Als gäbe
es dort keine menschenverachtenden Abcasher, denen nichts gelegener kommt,
als verzweifelte Menschen, die alles dafür tun würden, etwas
Licht am Ende des Tunnels ihres hoffnungslosen Lebens zu sehen. "We should
oppose everything the enemy embraces and embrace everything the enemy opposes"
sagt Mao (oder so ähnlich) - und er hat nicht recht.
In
der Südsteiermark schaut das Fluchthelfergewerbe vielleicht ganz anders
aus, aber wenn ihr so global formuliert, müßt ihr eure Vorstellungen
auch überprüfen.
Du kannst
ja antworten, meinen Blickwinkel zurechtrücken, Dich rechtfertigen,
mal sehen.
Leonardo H... |