Dienstleistung: Fluchthilfe

Text von Augustine Leisch in der Volksstimme 29, 19. Juli
 
Flucht und Migration. Eine Sprachübung

Das Projekt „Dienstleistung: Fluchthilfe" von Oliver Ressler und Martin Krenn verändert den Sprachgebrauch und lässt Flüchtlinge und AktivistInnen für sich selbst sprechen. Zum neuesten Inbegriff alles Bösen, der „Schlepperei", wird klar und fundiert Stellung bezogen.

Terroristin oder Freiheitskämpfer? Dissident oder Verräterin? Fluchthelferin oder Schlepper? Die Wortwahl offenbart schon den ideologischen Standpunkt. Es ist viel symbolische Arbeit notwendig, die durchsetzt, dass in einer bestimmten Gesellschaft das eine oder das andere Wort sich im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzt. Und damit schon von vornherein ein bestimmtes Urteil über die bezeichneten Leute gefällt wird, vor jeglicher Auseinandersetzung damit, wer sie sind, was sie tun und warum.

Wir sprechen von Schleusungen, von Schleusern und von Geschleusten. Das ist unser Sprachgebrauch. Schlepper ist so ein Begriff, der immer wieder gebraucht wird, aber bei uns im Sprachgebrauch findet er keine Anwendung. Und von Fluchthelfern sprechen wir in unserem Sprachgebrauch auch nicht. „Fluchthelfer“ ist, wenn wir zurückschauen in die Geschichte, eigentlich anders belegt, der Begriff ist positiv belegt. Das waren nämlich diejenigen, die zu Zeiten des „Eisernen Vorhangs“ Menschen von Ost nach West gebracht haben.
Bodo Kaping (Bundesgrenzschutzamt Frankfurt/Oder)*

Für einen Beamten des deutschen Bundesgrenzschutz in Frankfurt an der Oder in der ehemaligen DDR ist sein Job ein Abwehrkampf gegen „menschenverachtende Schleuser". Das Wort „Fluchthilfe" will er nicht benützen, es ist positiv besetzt, denn es wird assoziiert mit denjenigen, die BürgerInnen der ehemaligen DDR bei der Republikflucht geholfen haben. Der Grenzschützer wird befragt, ob es denn menschenverachtend sei, wenn jemand, der seine Haut aus einer Krisenregion nach Deutschland gerettet hat, einem Verwandten hilft nachzukommen? Es sei trotzdem menschenverachtend, sagt der Beamte, denn das Durchqueren der Flüsse Oder und Neisse sei manchmal lebensgefährlich. Schleuser setzten also das Leben der Geschleusten auf Spiel. Aber dann wären ja die FluchthelferInnen aus der DDR umso menschenverachtender gewesen? 
Soweit will und darf ein Exekutivbeamter nicht denken. Denn sein eigentliches Argument ist natürlich: menschenverachtend wird genannt und will und muss er kraft seines Amtes nennen, was gegen die deutschen Gesetze ist. Dass es die Gesetze sein könnten, die menschenverachtend sind, ist ein Gedanke, der nicht einmal von ferne zugelassen werden darf. Dafür ist ziemliche Verdrängungsarbeit nötig in einer Gegend, in der man erst vor einem guten Jahrzehnt umgelernt hat: da wurden plötzlich aus anständigen DDR-Grenzposten Schergen eines verbrecherischen Systems und aus verbrecherischen Republikflüchtlingen freiheitsliebende HeldInnen.

Das Interview mit dem Bundesgrenzschutzbeamten zeigt, wie eine bestimmte staatliche Politik ein bestimmtes Vokabular durchzusetzen sucht, um sich zu legitimieren. Es ist zu sehen in einem Video der Künstler Martin Krenn und Oliver Ressler, das als Teil des Projektes „Dienstleistung Fluchthilfe" entstand.
Offensichtlich gibt es da eine europaeinheitliche Sprachregelung. Auch der Bundesheerpilot, der im Hubschrauber mit Wärmebildnachtsichtkamera an der österreichischen EU-Außengrenze auf Flüchtlingsjagd geht, behauptet in erster Linie nicht Flüchtlinge -- die in seinem Jargon natürlich "Illegale" heißen und in seiner Vorstellung Kriminelle sind -- zu jagen, sondern Schlepper. Mit Flüchtlingen könnte man eventuell Mitleid haben, Schlepper werden als international vernetzte, schwerkriminelle Mafia dargestellt. Das Verdienst von Ressler und Krenn ist es, dieser Darstellung eine andere entgegenzuhalten: Fluchthilfe ist ein Service, den eben Flüchtlinge in Anspruch zu nehmen gezwungen sind. Je aufwendiger die Abschottungsmaßnahmen der heutigen und zukünftigen EU-Staaten, umso dringender werden FluchthelferInnen gebraucht. Dabei nehmen die meisten MigrantInnen auf ihrem Weg verschiedene Formen von Fluchthilfe in Anspruch: die Hilfe von FreundInnen und Bekannten, die Hilfe von Leuten, die aus humanitären oder politischen Gründen ein Stück des Weges weiterhelfen und eben die Angebote professioneller Fluchthilfe. Die ein Geschäft ist, wie jedes andere kapitalistische Geschäft. Den Mechanismen des Marktes unterworfen. Der Preis richtet sich nach Angebot und Nachfrage. Die meisten kommerziellen Fluchthilfeorganisationen arbeiten verantwortungsvoll. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Fahrlässige Leute, die das Leben ihrer KundInnen aufs Spiel setzen. Dass aber Tausende von Menschen seit 1993 umgekommen sind beim Versuch, die Grenzen Europas zu überschreiten -- von 2000 weiß man es gewiss, die Dunkelziffer dürfte viel höher sein --,dafür tragen nicht Fluchthilfeorganisationen die Verantwortung, sondern die europäische Abschottungspolitik.
Da allerdings Fluchthilfe kriminalisiert ist und mit hohen Gefängnisstrafen sanktioniert wird, kann man nicht einfach FluchthelferInnen vor die Kamera bitten, um sich und der Öffentlichkeit ein gerechteres, objektiveres Bild von diesen neuen Verfemten zu verschaffen.

Es kann z.B. Taxifahrern passieren, dass sie angesprochen werden, ob sie einen Fahrgast nach Zirndorf transportieren. Das ist die offizielle Aufnahmestelle für Asylbewerber in der Bundesrepublik. So, und wenn ich jetzt als Taxifahrer jemanden nach Zirndorf transportiere, ist das eine große Strecke, ich werde dafür ungefähr 2 Mark pro Kilometer nehmen und das ist ein ganz schöner Batzen Geld. Aber gut, die zahlen das, um dort hinzukommen. Aber wenn ich das jetzt mache, dann bin ich plötzlich ein Schleuser, obwohl ich ja eigentlich nur einem Flüchtling zu seinem Grundrecht auf Asyl verhelfen will, das ihm das deutsche Gesetz zuschreibt. Schon bin ich ein Schleuser. Und das kann ja nicht sein; ist aber so.(In Deutschland werden seit Anfang 1997 TaxifahrerInnen wegen der Beförderung von Menschen ohne Papiere zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, Anm.)
Hans Heim (Taxilenker, Taxistas-Aktivist, Berlin)
 

Und die, die ein vehementes Interesse an einer Gegendarstellung hätten -- nämlich die KundInnen der FluchthelferInnen --, sind oft weder der Sprache des Ziellandes mächtig noch haben sie den Zugang zu Medien, um ihrer Sicht der Dinge eine Öffentlichkeit zu verschaffen, ihrem Blick auf die Festungsmauern Europas und deren Lücken und Löcher und auf diejenigen, die ihnen eventuell diese Löcher gewiesen haben. Es sind also vor allem politische Gruppen, die Fluchthilfe als Teil antirassistischer Arbeit begreifen, die im Video und auch in der Postwurfzeitung "Neues Grenzblatt" -- einem weiteren Teil des Projekts -- zu Wort kommen. Und Krenn und Ressler nehmen die Forderung von MigrantInnen ernst, selber für sich zu sprechen, nicht mehr länger von wohlmeinenden GönnerInnen politisch bevormundet zu werden. Es sind vor allem auch Organisationen von MigrantInnen oder Leuten der zweiten Generation, die zu Wort kommen. TschuschenPower, Kanak Attak, MAIZ, The Voice.

Und irgendwann wurde ich zu einer Diskussion von „Kein Mensch ist illegal“ eingeladen, das damals noch in der alten Besetzung mit evangelischen Diözesen war. Und plötzlich sagt einer aus dieser Diözese: „Wir werden für euch sprechen." Ich sitze da und denke mir, du musst nicht für mich sprechen, ich kann für mich selber sprechen, ihr lasst mich nur nicht sprechen. Und ich bin aufgestanden und hab gesagt: "Guten Abend, mein Name ist Grace Latigo, und ich kann für mich selber sprechen! Ich bin seit sieben Jahren illegal.“ Und natürlich hat das ein irrsinniges Chaos verursacht und ich musste den MenschInnen erklären, weshalb es wichtig ist, dass sie mich sprechen lassen sollen.
Grace Latigo (politische Aktivistin, Künstlerin, Wien)

Das Videointerview mit Jean Jacques Effson Effa von The Voice, einer selbst organisierten Gruppe afrikanischer Flüchtlinge in Deutschland, macht nachdrücklich klar, in welch klaustrophobischer Situation die Flüchtlinge in Cottbus/Brandenburg -- und nicht nur da! -- zu leben haben. Ein Gesetz verbietet ihnen, ohne behördliche Genehmigung den Landkreis zu verlassen, in dem sie wohnen. Ähnlich wie dieses an Apartheid gemahnende Gesetz sie an den räumlichen Ort ihrer Flüchtlingsunterkunft festnagelt, nageln die Begriffe "Illegaler" oder "Asylant" sie an einen imaginären Ort der Deklassierung, Ungleichberechtigung, des Verachtet- und Nichtrespektiertwerdens fest. Da keine Deutschkurse bezahlt werden, gibt es auch keine Möglichkeit durch das Erzählen der eigenen Geschichten, durch den Aufbau von Beziehungen zur deutschen Umwelt diesen Zuschreibungen zu entkommen. Werden sie von deutschen Skinheads angegriffen und erstatten Anzeige, so ermittelt die Polizei nur gegen MigrantInnen: schon das Wort "Illegaler" erinnert an "Krimineller". Allein die Tatsache fremd zu sein macht also per se verdächtig.

Da wir nicht mit ihnen kommunizieren können, können wir nicht erklären, warum wir hier sind und niemand versteht uns. Sie können unsere Kultur nicht verstehen, weil wir ihre Sprache nicht sprechen, es ist sehr schwer. Viele Leute wissen nicht, dass ich nicht arbeiten darf, und sie sagen, dass wir ihnen die Jobs wegnehmen und so weiter. Sie wissen einfach nicht, dass wir nicht arbeiten dürfen. Sie wissen das nicht. Ich habe keine Erlaubnis, meinen Landkreis zu verlassen. Sie wissen nicht, dass ich jeden Monat nur 80 Mark in Bargeld zur Verfügung habe. Sie wissen das nicht. Sie glauben, wir würden viel Geld bekommen. Und weil wir nicht deutsch sprechen, ist es schwierig für uns zu erklären, dass wir hier in Deutschland nicht in einem Palast wohnen, sondern in einem offenen Gefängnis. 
Jean Jacques Effson Effa (Cottbus/Brandenburg, Aktivist der selbstorganisierten Flüchtlingsorganisation THE VOICE)
 

Die Journalistin Hirut Kiesel sagt, die wesentliche Frage sei: Wer darf migrieren? Warum wird im einen Fall von illegaler Migration, im anderen Fall von Entdeckungsreise, Eroberung, Übersiedelung gesprochen?
Antworten auf diese Frage streift das Projekt "Dienstleistung Fluchthilfe" allerdings nur am Rand, in einem Artikel im "Neuen Grenzblatt", der am Beispiel des von der Türkei mit österreichischer Unterstützung errichteten Illisu-Staudammes im türkischen Teil Kurdistans zeigt, wie westliche Wirtschaftsinteressen Migration erst verursachen.Dass der ungleichen Verteilung ökonomischer und technischer Ressourcen auf der Welt ungleiche Reisefreiheit entspricht, dass die Abschottung Europas gegen Migration zur Aufrechterhaltung dieser Ungerechtigkeiten dient, sind vielleicht wirklich Trivialitäten, die man nicht immer wieder erwähnen muss.
Dass in einer globalisierten Welt also die Trennlinie zwischen den Klassen verläuft, zwischen MigrantInnen einerseits und TouristInnen und Geschäftsreisenden andererseits, dass Fluchthilfeorganisationen nichts anderes sind, als Reiseveranstalter für die globale ArbeiterInnenklasse, das sind allerdings Bilder, die ganz nützlich sein können in den Diskussionen, die sich ergeben, wenn man Ressler/Krenns "Neues Grenzblatt" im grenznahen Wirtshaus verteilt.
Und das Blatt zu verteilen, das Video zu zeigen sei hiermit empfohlen. Damit der antirassistische Sprachkurs "Dienstleistung Fluchthilfe" Früchte trägt. Und vielleicht wirklich zur Verringerung der kommerziellen Fluchthilfe beiträgt. Fahrlässigen oder ausbeuterischen Fluchthelfern ist nämlich weder durch Gesetzesverschärfungen noch Infrarotkameras beizukommen. Sondern nur dadurch, dass ihnen eine immense Konkurrenz erwächst aus Leuten mit Zivilcourage, die aus Menschlichkeit oder politischer Einsicht oder einfach nur aus altmodischer Gastfreundschaft Reisende ein Stück des Weges mitnehmen, eine Nacht lang beherbergen. Egal was der Staat dazu sagt.

Augustine Leisch "Flucht und Migration. Eine Sprachübung, Volksstimme 29, 19. Juli

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