Flucht
und Migration. Eine Sprachübung
Das Projekt „Dienstleistung:
Fluchthilfe" von Oliver Ressler und Martin Krenn verändert den Sprachgebrauch
und lässt Flüchtlinge und AktivistInnen für sich selbst
sprechen. Zum neuesten Inbegriff alles Bösen, der „Schlepperei", wird
klar und fundiert Stellung bezogen.
Terroristin oder
Freiheitskämpfer? Dissident oder Verräterin? Fluchthelferin oder
Schlepper? Die Wortwahl offenbart schon den ideologischen Standpunkt. Es
ist viel symbolische Arbeit notwendig, die durchsetzt, dass in einer bestimmten
Gesellschaft das eine oder das andere Wort sich im allgemeinen Sprachgebrauch
durchsetzt. Und damit schon von vornherein ein bestimmtes Urteil über
die bezeichneten Leute gefällt wird, vor jeglicher Auseinandersetzung
damit, wer sie sind, was sie tun und warum.
Wir sprechen von
Schleusungen, von Schleusern und von Geschleusten. Das ist unser Sprachgebrauch.
Schlepper ist so ein Begriff, der immer wieder gebraucht wird, aber bei
uns im Sprachgebrauch findet er keine Anwendung. Und von Fluchthelfern
sprechen wir in unserem Sprachgebrauch auch nicht. „Fluchthelfer“ ist,
wenn wir zurückschauen in die Geschichte, eigentlich anders belegt,
der Begriff ist positiv belegt. Das waren nämlich diejenigen, die
zu Zeiten des „Eisernen Vorhangs“ Menschen von Ost nach West gebracht haben.
Bodo Kaping (Bundesgrenzschutzamt
Frankfurt/Oder)*
Für einen Beamten
des deutschen Bundesgrenzschutz in Frankfurt an der Oder in der ehemaligen
DDR ist sein Job ein Abwehrkampf gegen „menschenverachtende Schleuser".
Das Wort „Fluchthilfe" will er nicht benützen, es ist positiv besetzt,
denn es wird assoziiert mit denjenigen, die BürgerInnen der ehemaligen
DDR bei der Republikflucht geholfen haben. Der Grenzschützer wird
befragt, ob es denn menschenverachtend sei, wenn jemand, der seine Haut
aus einer Krisenregion nach Deutschland gerettet hat, einem Verwandten
hilft nachzukommen? Es sei trotzdem menschenverachtend, sagt der Beamte,
denn das Durchqueren der Flüsse Oder und Neisse sei manchmal lebensgefährlich.
Schleuser setzten also das Leben der Geschleusten auf Spiel. Aber dann
wären ja die FluchthelferInnen aus der DDR umso menschenverachtender
gewesen?
Soweit will und
darf ein Exekutivbeamter nicht denken. Denn sein eigentliches Argument
ist natürlich: menschenverachtend wird genannt und will und muss er
kraft seines Amtes nennen, was gegen die deutschen Gesetze ist. Dass es
die Gesetze sein könnten, die menschenverachtend sind, ist ein Gedanke,
der nicht einmal von ferne zugelassen werden darf. Dafür ist ziemliche
Verdrängungsarbeit nötig in einer Gegend, in der man erst vor
einem guten Jahrzehnt umgelernt hat: da wurden plötzlich aus anständigen
DDR-Grenzposten Schergen eines verbrecherischen Systems und aus verbrecherischen
Republikflüchtlingen freiheitsliebende HeldInnen.
Das Interview mit
dem Bundesgrenzschutzbeamten zeigt, wie eine bestimmte staatliche Politik
ein bestimmtes Vokabular durchzusetzen sucht, um sich zu legitimieren.
Es ist zu sehen in einem Video der Künstler Martin Krenn und Oliver
Ressler, das als Teil des Projektes „Dienstleistung Fluchthilfe" entstand.
Offensichtlich gibt
es da eine europaeinheitliche Sprachregelung. Auch der Bundesheerpilot,
der im Hubschrauber mit Wärmebildnachtsichtkamera an der österreichischen
EU-Außengrenze auf Flüchtlingsjagd geht, behauptet in erster
Linie nicht Flüchtlinge -- die in seinem Jargon natürlich "Illegale"
heißen und in seiner Vorstellung Kriminelle sind -- zu jagen, sondern
Schlepper. Mit Flüchtlingen könnte man eventuell Mitleid haben,
Schlepper werden als international vernetzte, schwerkriminelle Mafia dargestellt.
Das Verdienst von Ressler und Krenn ist es, dieser Darstellung eine andere
entgegenzuhalten: Fluchthilfe ist ein Service, den eben Flüchtlinge
in Anspruch zu nehmen gezwungen sind. Je aufwendiger die Abschottungsmaßnahmen
der heutigen und zukünftigen EU-Staaten, umso dringender werden FluchthelferInnen
gebraucht. Dabei nehmen die meisten MigrantInnen auf ihrem Weg verschiedene
Formen von Fluchthilfe in Anspruch: die Hilfe von FreundInnen und Bekannten,
die Hilfe von Leuten, die aus humanitären oder politischen Gründen
ein Stück des Weges weiterhelfen und eben die Angebote professioneller
Fluchthilfe. Die ein Geschäft ist, wie jedes andere kapitalistische
Geschäft. Den Mechanismen des Marktes unterworfen. Der Preis richtet
sich nach Angebot und Nachfrage. Die meisten kommerziellen Fluchthilfeorganisationen
arbeiten verantwortungsvoll. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Fahrlässige
Leute, die das Leben ihrer KundInnen aufs Spiel setzen. Dass aber Tausende
von Menschen seit 1993 umgekommen sind beim Versuch, die Grenzen Europas
zu überschreiten -- von 2000 weiß man es gewiss, die Dunkelziffer
dürfte viel höher sein --,dafür tragen nicht Fluchthilfeorganisationen
die Verantwortung, sondern die europäische Abschottungspolitik.
Da allerdings Fluchthilfe
kriminalisiert ist und mit hohen Gefängnisstrafen sanktioniert wird,
kann man nicht einfach FluchthelferInnen vor die Kamera bitten, um sich
und der Öffentlichkeit ein gerechteres, objektiveres Bild von diesen
neuen Verfemten zu verschaffen.
Es kann z.B. Taxifahrern
passieren, dass sie angesprochen werden, ob sie einen Fahrgast nach Zirndorf
transportieren. Das ist die offizielle Aufnahmestelle für Asylbewerber
in der Bundesrepublik. So, und wenn ich jetzt als Taxifahrer jemanden nach
Zirndorf transportiere, ist das eine große Strecke, ich werde dafür
ungefähr 2 Mark pro Kilometer nehmen und das ist ein ganz schöner
Batzen Geld. Aber gut, die zahlen das, um dort hinzukommen. Aber wenn ich
das jetzt mache, dann bin ich plötzlich ein Schleuser, obwohl ich
ja eigentlich nur einem Flüchtling zu seinem Grundrecht auf Asyl verhelfen
will, das ihm das deutsche Gesetz zuschreibt. Schon bin ich ein Schleuser.
Und das kann ja nicht sein; ist aber so.(In Deutschland werden seit Anfang
1997 TaxifahrerInnen wegen der Beförderung von Menschen ohne Papiere
zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, Anm.)
Hans Heim (Taxilenker,
Taxistas-Aktivist, Berlin)
Und die, die ein
vehementes Interesse an einer Gegendarstellung hätten -- nämlich
die KundInnen der FluchthelferInnen --, sind oft weder der Sprache des
Ziellandes mächtig noch haben sie den Zugang zu Medien, um ihrer Sicht
der Dinge eine Öffentlichkeit zu verschaffen, ihrem Blick auf die
Festungsmauern Europas und deren Lücken und Löcher und auf diejenigen,
die ihnen eventuell diese Löcher gewiesen haben. Es sind also vor
allem politische Gruppen, die Fluchthilfe als Teil antirassistischer Arbeit
begreifen, die im Video und auch in der Postwurfzeitung "Neues Grenzblatt"
-- einem weiteren Teil des Projekts -- zu Wort kommen. Und Krenn und Ressler
nehmen die Forderung von MigrantInnen ernst, selber für sich zu sprechen,
nicht mehr länger von wohlmeinenden GönnerInnen politisch bevormundet
zu werden. Es sind vor allem auch Organisationen von MigrantInnen oder
Leuten der zweiten Generation, die zu Wort kommen. TschuschenPower, Kanak
Attak, MAIZ, The Voice.
Und irgendwann wurde
ich zu einer Diskussion von „Kein Mensch ist illegal“ eingeladen, das damals
noch in der alten Besetzung mit evangelischen Diözesen war. Und plötzlich
sagt einer aus dieser Diözese: „Wir werden für euch sprechen."
Ich sitze da und denke mir, du musst nicht für mich sprechen, ich
kann für mich selber sprechen, ihr lasst mich nur nicht sprechen.
Und ich bin aufgestanden und hab gesagt: "Guten Abend, mein Name ist Grace
Latigo, und ich kann für mich selber sprechen! Ich bin seit sieben
Jahren illegal.“ Und natürlich hat das ein irrsinniges Chaos verursacht
und ich musste den MenschInnen erklären, weshalb es wichtig ist, dass
sie mich sprechen lassen sollen.
Grace Latigo (politische
Aktivistin, Künstlerin, Wien)
Das Videointerview
mit Jean Jacques Effson Effa von The Voice, einer selbst organisierten
Gruppe afrikanischer Flüchtlinge in Deutschland, macht nachdrücklich
klar, in welch klaustrophobischer Situation die Flüchtlinge in Cottbus/Brandenburg
-- und nicht nur da! -- zu leben haben. Ein Gesetz verbietet ihnen, ohne
behördliche Genehmigung den Landkreis zu verlassen, in dem sie wohnen.
Ähnlich wie dieses an Apartheid gemahnende Gesetz sie an den räumlichen
Ort ihrer Flüchtlingsunterkunft festnagelt, nageln die Begriffe "Illegaler"
oder "Asylant" sie an einen imaginären Ort der Deklassierung, Ungleichberechtigung,
des Verachtet- und Nichtrespektiertwerdens fest. Da keine Deutschkurse
bezahlt werden, gibt es auch keine Möglichkeit durch das Erzählen
der eigenen Geschichten, durch den Aufbau von Beziehungen zur deutschen
Umwelt diesen Zuschreibungen zu entkommen. Werden sie von deutschen Skinheads
angegriffen und erstatten Anzeige, so ermittelt die Polizei nur gegen MigrantInnen:
schon das Wort "Illegaler" erinnert an "Krimineller". Allein die Tatsache
fremd zu sein macht also per se verdächtig.
Da wir nicht mit
ihnen kommunizieren können, können wir nicht erklären, warum
wir hier sind und niemand versteht uns. Sie können unsere Kultur nicht
verstehen, weil wir ihre Sprache nicht sprechen, es ist sehr schwer. Viele
Leute wissen nicht, dass ich nicht arbeiten darf, und sie sagen, dass wir
ihnen die Jobs wegnehmen und so weiter. Sie wissen einfach nicht, dass
wir nicht arbeiten dürfen. Sie wissen das nicht. Ich habe keine Erlaubnis,
meinen Landkreis zu verlassen. Sie wissen nicht, dass ich jeden Monat nur
80 Mark in Bargeld zur Verfügung habe. Sie wissen das nicht. Sie glauben,
wir würden viel Geld bekommen. Und weil wir nicht deutsch sprechen,
ist es schwierig für uns zu erklären, dass wir hier in Deutschland
nicht in einem Palast wohnen, sondern in einem offenen Gefängnis.
Jean Jacques Effson
Effa (Cottbus/Brandenburg, Aktivist der selbstorganisierten Flüchtlingsorganisation
THE VOICE)
Die Journalistin
Hirut Kiesel sagt, die wesentliche Frage sei: Wer darf migrieren? Warum
wird im einen Fall von illegaler Migration, im anderen Fall von Entdeckungsreise,
Eroberung, Übersiedelung gesprochen?
Antworten auf diese
Frage streift das Projekt "Dienstleistung Fluchthilfe" allerdings nur am
Rand, in einem Artikel im "Neuen Grenzblatt", der am Beispiel des von der
Türkei mit österreichischer Unterstützung errichteten Illisu-Staudammes
im türkischen Teil Kurdistans zeigt, wie westliche Wirtschaftsinteressen
Migration erst verursachen.Dass der ungleichen Verteilung ökonomischer
und technischer Ressourcen auf der Welt ungleiche Reisefreiheit entspricht,
dass die Abschottung Europas gegen Migration zur Aufrechterhaltung dieser
Ungerechtigkeiten dient, sind vielleicht wirklich Trivialitäten, die
man nicht immer wieder erwähnen muss.
Dass in einer globalisierten
Welt also die Trennlinie zwischen den Klassen verläuft, zwischen MigrantInnen
einerseits und TouristInnen und Geschäftsreisenden andererseits, dass
Fluchthilfeorganisationen nichts anderes sind, als Reiseveranstalter für
die globale ArbeiterInnenklasse, das sind allerdings Bilder, die ganz nützlich
sein können in den Diskussionen, die sich ergeben, wenn man Ressler/Krenns
"Neues Grenzblatt" im grenznahen Wirtshaus verteilt.
Und das Blatt zu
verteilen, das Video zu zeigen sei hiermit empfohlen. Damit der antirassistische
Sprachkurs "Dienstleistung Fluchthilfe" Früchte trägt. Und vielleicht
wirklich zur Verringerung der kommerziellen Fluchthilfe beiträgt.
Fahrlässigen oder ausbeuterischen Fluchthelfern ist nämlich weder
durch Gesetzesverschärfungen noch Infrarotkameras beizukommen. Sondern
nur dadurch, dass ihnen eine immense Konkurrenz erwächst aus Leuten
mit Zivilcourage, die aus Menschlichkeit oder politischer Einsicht oder
einfach nur aus altmodischer Gastfreundschaft Reisende ein Stück des
Weges mitnehmen, eine Nacht lang beherbergen. Egal was der Staat dazu sagt.
Augustine Leisch
"Flucht und Migration. Eine Sprachübung, Volksstimme 29, 19. Juli |