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Macht und Gehorsam
Schule unterrichtet


 

Internetprojekt SchülerInnenforum, 97/99
Plakatserie, Jänner 99, Wien
Passagegalerie-Künstlerhaus, 15. 1. - 21. 2. 99, Wien

other projects by Martin Krenn

SchülerInnenforum (1997-1999)
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Martin Krenn in Kooperation mit:

Katerina Vrtikapa, Robert Proskovits, Tina Hann, Lisi Ziegelmeier,
Quilla Mederos, Vinzenz Schweighofer, Nina Mangel

(Projektgruppe NEUE SCHULE)

Meta Stephan, Konstantin Wreh, Sarah Laudien, Mike Weimann, Paula Sell,
Lisa Bannier, Robert Haase, Anna Fischer, Raffaele Vinci

(K.R.Ä.T.Z.Ä. - Berlin)

Zum Projekt ist ein Katalog erhältlich (A4, 32 Seiten, s/w)
Bestellungr: mail@martinkrenn.net

Der „schulische ideologische Staatsapparat“ (Althusser) spielt für den Staat, als wirksames Mittel, das die Reproduktion und Legitimation der Gesellschaft steuert und kontrolliert, eine bedeutende Rolle.

Schuldisziplin, Militärdisziplin und Arbeitsdisziplin
werden zur Aufrechterhaltung des Staates und seiner Gesellschaft für notwendig erachtet. Schule kann wie auch Gefängnisse und Kasernen als Herrschaftsmittel vom Staat benutzt werden, mit dem er seine Interessen durchzusetzen versucht.

Im Sinne Foucaults wird Macht aber nicht einfach besessen, sondern sie wirkt. Macht ist nicht an Individuen oder Gruppen/Institutionen gebunden, sie liegt in der Struktur, in der Organisation von Raum und der Strukturierung von Zeitmöglichkeiten.
Macht ist viel mehr als nur zensierend und verneinend, sie ist produktiv.

Die unterschiedlichen Funktionsweisen der Macht in Schulen kann zum Beispiel an den Schulordnungen abgelesen werden: Es wird versucht mittels schriftlich festgelegter Regeln den Schulalltag reibungslos zu gestalten und die Schulhierarchie, wo die SchülerInnen an unterster Stelle stehen, aufrecht zu erhalten.
Bei Gesprächen mit SchülerInnen wurde allerdings deutlich, daß viele die Sinnhaftigkeit der vorgegebenen Regeln anzweifeln und diese ständig übertreten.
Das ging soweit, daß in einer Schulklasse (12. Schulstufe) die frisch aufgeklebten Hausordnungen sofort in den Papierkorb wanderten.
Dieses Verhalten wurde bei diesen SchülerInnen, die es bereits in die 8. Klasse geschafft und den Ausleseprozess der Schule überstanden hatten, toleriert. Macht wirkt hier produktiv, indem mittels kalkulierter Toleranz den SchülerInnen suggeriert wird, sie könnten von nun an autonomer agieren.

Schule ordnet Kinder und Jugendliche in Gruppen nach Jahrgang, „Leistung“ und „Begabung“ und mittels Zensuren wird ihr Lernerfolg gelobt oder bestraft. Die Noten drücken somit den erreichten Grad der gesellschaftlichen Konformität aus.
Das Ergebnis der Unterwerfung unter diesen Bedingungen haben SchülerInnen als „Arbeit“ abzuliefern, der Lohn wird im Schulsystem in Form der Noten „sehr gut“ bis „nicht genügend“ oder mittels „verbaler Beurteilung“ ausbezahlt.
Über gute Noten soll ein angemessener Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie des Staates gesichert werden. Damit wird das Ziel verfolgt, von eigenen Bedürfnissen und Interessen zu abstrahieren und die vorgegebenen Verhaltenserwartungen, Ziele, Werte, Regeln und Vorschriften zu internalisieren.

Das Projekt „Macht und Gehorsam - Schule unterrichtet“ versucht die Funktionsweisen der Kontroll- und Unterdrückungsmechanismen der Institution Schule durch das öffentlich machen von Schulkritik der SchülerInnen zu untersuchen und zu hinterfragen.
Zu Beginn besuchte ich Schulen in Wien, stellte dort das Projekt vor und führte Diskussionen mit SchülerInnen und engagierten LehrerInnen. Bei den Schulbesuchen wurden die SchülerInnen eingeladen Fotos von ihren Schulen herzustellen und Statements auf Postkarten zu verfassen, die dann auf der Homepage „SchülerInnenforum“ zusätzlich zu den per Internet eingelangten Statements, veröffentlicht
wurden.
Gemeinsam mit einer Gruppe von Jugendlichen der „SchülerInnenschule - WUK“, ein alternatives Schulprojekt, an dem ich seit vielen Jahren aktiv beteiligt bin, wurde das Konzept für das Video „AlternativschülerInnen interviewen Regel-schülerInnen“ entwickelt.

Bei den Schulbesuchen und der Arbeit an dem Video konnten Kontakte zu SchülerInnen geschlossen
werden, die sich in ihrer Freizeit an der Gestaltung der Ausstellung und den Plakaten beteiligten.
Nach mehreren Arbeitstreffen kristallisierte sich eine Kerngruppe, bestehend aus Alternativ- und RegelschülerInnen, mit dem Namen NEUE SCHULE. Gemeinsam wurde die Auswahl der SchülerInnenstatements für die Plakate getroffen, das Layout überarbeitet und das Konzept für die Ausstellung diskutiert. Zahlreiche Diskussionen über Veränderungen des Schulsystems ergänzten die strategischen und konzeptionellen Überlegungen.

K.R.Ä.T.Z.Ä., eine Kinderrechtsgruppe aus Berlin, mit der ich bisher nur per e-mail im Kontakt war, be-
suchten Wien und präsentierten in der Ausstellung ihre dokumentierten Aktionen, Publikationen und ihr „Schulhäuschen“, das auf die beengende Situation in Schulklassen verweist.

Martin Krenn

Plakatserie

Kommentare zum Projekt:

Es reicht nicht, die entsprechenden Äußerungen als Gedankenspiele spätpupertärer Sozialutopisten abzutun. [...]
Von einem "Arzt", der zwar 16 Semester Universitätsbesuch, aber keine erfolgreichen Prüfungen nachweisen kann, werden sich wohl auch die AutorInnen und Sponsoren jener Noten-abschaffungs-Plakate nicht gerne behandeln oder gar operieren lassen. Wenn sie es doch wagen sollten - viel Glück!

Mag. Helmut Jantschitsch
(Vorsitzender der Bundessektion der AHS-Gewerkschaft),
AHS-Gewerkschaftszeitung, Feb. 99


SCHULNOTEN ABSCHAFFEN:

Mir hat die Schule uneingeschränkt Freude
gemacht. [...]
Auch der junge Mensch muß sich daran gewöhnen, daß seine Leistungen beurteilt werden ... Das Notensystem hat sicher seine Schwächen, aber 80 % der Schülerinnen und Schüler wollen für ihre Leistung eine Note bekommen.

Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer
Journal Panorama zu MACHT UND GEHORSAM - Schule unterrichtet, ORF, Ö1, 9. 2. 99


GESCHULTER GEHORSAM:

Wir lernen uns in den jetzigen Schulen Autoritäten unterzuordnen. Ich meine, daß junge Menschen
lernen sollten, kritisch zu sein und Macht zu hinterfragen. Wenn dann ein politisches System existiert, wo einer die Macht hat, dann akzeptiert man das,
so wie das jetzt in der Schule ist, da hat auch der Direktor die Macht [...]
Durch die Beurteilung kann keine freie Diskussion entstehen, weil Schüler sich einfach nicht leisten können, daß zu sagen, was sie sich denken.

Katerina Vrtikapa
(Schülerin, Projektgruppe NEUE SCHULE)
"Von Tag zu Tag", ORF, Ö1, 29. 1. 99


SELBSTBESTIMMTES LERNEN:

Wenn die Schüler und SchülerInnen sich einmal
zusammmentun und mit dem Lehrer Gespräche anzetteln, und dann ihre Eltern einspannen, ich glaub' dann könnte man schon eine ganze Menge bewegen. [...] Mühsam ist auf jedenfall einmal das Reden mit den anderen, das muß aber einmal passieren und zur Hilfe holen kann man sich dann manchmal irgendwelche Lehrer die einen da unterstützen bzw. Eltern, oder auch irgendwo anrufen im Unterrichtsministerium.

Dr. Christine Kisser
(Unterrichtsministerium)
Live-Diskussion zur Ausstellung, ORF, FM4, 18. 1. 99

Über Macht und Gehorsam
Der Standard, 12.Jänner, 1999

Ein Kunstprojekt hinterfragt die Herrschaftsstrukturen der Schule

Schüler fühlen sich als machtlose Objekte, über die der Lehrer nach Belieben verfügen darf. Zitat aus dem Internet: "Diese Degradierung ist ein Angriff auf unsere Menschenwürde." Der Projektkünstler Martin Krenn kann es ihnen nachfühlen und macht ihren Widerstand öffentlich.
Mit ihm sprach Heide Korn.

Wien - "Wie kommt es", fragt der Wiener Projektkünstler Martin Krenn, "daß so viele Menschen die Macht-und Herrschaftsverhältnisse, denen sie selbst unterworfen sind, einfach akzeptieren?" Seine Antwort: "Weil das Sich-Einfügen von klein auf systematisch trainiert wird."

Unter anderem in der Schule. Dort wird erwartet, daß Anweisungen von Direktion, Klassenvorstand und LehrerInnen möglichst kritiklos befolgt werden. Die Mechanismen der Disziplinierung lassen sich am besten an den Hausordnungen ablesen, die oft schon allein durch die Wortwahl Bände sprechen. So heißt es in einem Wiener Internat noch heute stramm militärisch: "Das rechtzeitige Einrücken hat bis 21 Uhr zu erfolgen."

Und obwohl SchülervertreterInnen in den Schulgemeinschaftsausschüssen ein Drittel des Stimmrechts besitzen, bestimmt zumeist die Schulleitung, worüber abgestimmt wird. "Die Schule versucht", sagt Martin Krenn im Gespräch mit dem STANDARD, "nach außen ein demokratisches Image von sich zu zeichnen, vermeidet dabei aber eine grundsätzliche Diskussion über das System."
Dies, obwohl das in den Familien vorherrschende Erziehungsideal längst die Selbständigkeit sei und die Schüler, die sich weitgehend als autonome Individuen begriffen, den tradierten Disziplinarstrukturen Widerstand entgegensetzten. "Genau diesen Widerstand", so Krenn, "wollte ich mit meinem Projekt ,Macht und Gehorsam - Schule unterrichtet' aufgreifen und mache ihn nun im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs öffentlich."

Plakatserie

Öffentlich heißt, daß seit kurzem eine mit kritischen Schülern erarbeitete Plakatserie an stark frequentierten Verkehrsknotenpunkten auf die Problematik aufmerksam macht. Dazu wird am kommenden Donnerstag in der Passagegalerie des Künstlerhauses um 20 Uhr eine Ausstellung eröffnet, die den Verlauf des Unternehmens dokumentieren soll.

Gestartet hat Martin Krenn sein von Lioba Reddeker, der Bundeskuratorin für Kunst, unterstütztes Projekt genau vor einem Jahr. Damals machte er sich in Wien auf die Suche nach engagierten LehrerInnen und stellte in ihren Klassen sein Konzept vor. Er moderierte Diskussionen und lud die SchülerInnen ein, Statements "gegen Notenbeurteilung, Schulgehorsam und für Selbstbestimmung" abzugeben.

Die Statements wurden auf eine Homepage im Internet übertragen (schuelerInnenforum.t0.or.at), die per E-mail in anderen Schulen bekanntgemacht wurde, so daß weitere Statements - auch aus Deutschland - eingingen. Zuletzt ergab sich noch eine Kooperation mit der Berliner Gruppe K.R.Ä.T.Z.Ä. (Kinder-Rächts-Zänker), die sich ebenfalls im Künstlerhaus präsentieren wird.

Gruppe "Neue Schule"

Eine Reihe von Schülern fand an dem Projekt so großen Gefallen, daß sie sich sogar in ihrer Freizeit mit Krenn traf und die Gruppe "Neue Schule" bildete. Sie wählten die Plakate aus und entwickelten in langen - auf Video dokumentierten - Diskussionen ein eigenes Modell für eine Schule, in der Schüler und Lehrer gleichgestellt sind.

Krenn selbst hat bereits mehrere Projekte abgewickelt, die gesellschaftlich relevante Themen wie Sexismus oder Rassismus im außerkünstlerischen Raum publik machten. Auch ein Schulprojekt war darunter, "Gelernte Heimat" (gemeinsam mit Oliver Ressler), das anhand von Sachunterrichtsbüchern deutlich machte, wie die Heimatkonstitution in der Schule funktioniert. Zum Beispiel so: "Der Vater sorgt für die Familie, Österreich sorgt für uns alle."