Interviews, die Oliver Ressler und Martin
Krenn im Sommer 1997 mit leitenden österreichischen und deutschen
Beamten, die mit der Umsetzung der Fremden- und Asylgesetze beauftragt
sind, durchgeführt worden sind.
Interview mit Mag. Wolfgang Taucher,
Leiter des österreichischen Bundesasylamts
Mein Name ist Wolfgang Taucher, ich bin
seit über einem Jahr Leiter des Bundesasylamts in Österreich.
Das Bundesasylamt ist die Asylbehörde in erster Instanz, d.h. wir
als Bundesbehörde mit Außenstellen in Bundesländern entscheiden
in allen Fällen erstinstanzlich über die Frage ob jemand Flüchtling
ist oder nicht.
Da alle Nachbarländer Österreichs
als sichere Drittstaaten gelten, ist es aufgrund der Drittstaatenregelung
für viele Flüchtlinge - auch politisch verfolgte Flüchtlinge
- unmöglich, ein ordentliches Asylverfahren zu erlangen. Ihre Ansuchen
werden als ”offensichtlich unbegründet” meist bereits an der Grenze
abgelehnt. Die meisten Flüchtlinge sind daher gezwungen, illegal einzureisen,
um ihren Antrag im Inland zu stellen.
Wenn jemand an der österreichischen
Grenze einen Asylantrag stellt, der mit “offensichtlich unbegründet”
abgelehnt wird, kann er z.B. über Ungarn in die Ukraine abgeschoben
werden, wo es gar kein Asylverfahren gibt.
Trotzdem gilt die Ukraine aber als
sicherer Drittstaat!
An der Grenze wird nicht wegen Drittstaatensicherheit
abgelehnt, sondern wird lediglich entschieden, ob die Einreise gestattet
wird oder nicht. Das unterscheidet sich vom Verfahren im Inland! Nach dem
Gesetz muß jeder sicherer Drittstaat die Refoulementprüfung
vornehmen. Die Gefahr der Kettenabschiebung wird im Drittstaatenkonzept
sehr wohl gesehen. Die Abschiebekette muß irgendwann unterbrochen
werden. Das ist dann der Fall, wenn ein Staat nicht weiter abschiebt, da
das nächste Glied der Kette ein unsicherer Staat ist.
Die Drittstaatenregelung hat ihre Berechtigung
und ist nichts Neues. Schon bei der Flüchtlingskonvention 1951 wurde
ein Punkt breit diskutiert: Hat ein Flüchtling das Recht, sich sein
Aufenthaltsland auszusuchen? Die Gründerväter und -mütter
der Flüchtlingskonvention sind zur Überzeugung gelangt: Nein.
Durch das neue Asylgesetz werden Menschen
auf der Flucht nur mehr die Möglichkeit haben, innerhalb von 48 Stunden
gegen einen Bescheid des Asylamts zu berufen. Bisher waren es immerhin
14 Tage, was der generellen Berufungsnorm in Österreich entspricht.
Verfassungsjuristen sehen darin einen Widerspruch zur Verfassung.
Nach dem Gesetz sind es nicht 48 Stunden,
sondern 2 Tage und juristisch sind 2 Tage länger als 48 Stunden. So
komisch das auch ist, aber es ist halt so. Die Idee ist bei bestimmten
Verfahrenskonstellationen, rasch zu reagieren. Das ist ein Konzept, das
nicht nur ein europäisches ist, sondern das vielfach goutiert wird.
Auch der UNHCR spricht sich nicht grundsätzlich gegen Sonderverfahren
bei bestimmten Fallkonstellationen aus, da sie sinnvoll sind und letztendlich
dem Asylrecht dienen.
In den Schengener Verträgen gibt
es einen Artikel, in dem festgelegt wird, daß Transportunternehmen,
z.B. Fluglinien, für die Kosten des Rückflugs der Passagiere
ohne Visum aufzukommen haben. Das führt dazu, daß Menschen auf
der Flucht aus ihrem Land, das sie politisch verfolgt, am Schalter der
Fluglinien abgewiesen werden. Befürworten Sie diese Regelung oder
würden Sie persönlich für eine Änderung dieser Bestimmung
eintreten?
Nein, also ich sehe diese Bestimmung irgendwie
als technisches Detail im Schengener Vertrag, nicht mehr und nicht weniger.
Sie berührt im Prinzip unsere Prüfung nicht. Wenn tatsächlich
jemand am Luftweg nach Österreich kommt, wird sein Fall durch ein
eigenes Prüfungsregime in einem eigenen Flughafenverfahren entschieden.
Wenn entschieden wird, daß es sich um ein offensichtlich unbegründetes
Asylverfahren handelt, dann ist diese Bestimmung ein technisches Instrument,
um relativ rasch zu der Umsetzung zu kommen.
Ab der Asylantragsstellung betrifft uns
das konkret und berührt unsere Vollziehung. Wenn jemand am Flughafen
Wien Schwechat bei der Grenzkontrolle einen Asylantrag abgibt, dann wird
eine Überprüfung erfolgen. Sein Antrag wird relativ rasch behandelt.
Diese von Ihnen erwähnte Klausel ist lediglich bei der Umsetzung der
negativen Entscheidung behilflich.
Aber wenn die Fluglinie aufgrund dieser
Schengenregelung den Flüchtling gar nicht transportiert – da gibt
es ja zahlreiche Fälle, die das beweisen, dann greift das alles nicht,
was sie hier sagen. Der Flüchtling kommt nämlich gar nicht nach
Wien Schwechat! Das war die eigentliche Frage!
Würden sie nun persönlich
für eine Änderung dieser Bestimmung eintreten?
Ich sehe jetzt gerade überhaupt keinen
Bedarf, irgend eine Änderung im Schengen-Vertrag vorzunehmen. Diese
Bestimmung ist ja in ähnlicher Form seit Anfang 1992 im Fremdengesetz.
Diese so konkrete Auswirkung, das es hier durch die Verpflichtungen, die
an die Beförderungsunternehmen gestellt werden, zu einer Überlagerung
mit den Verpflichtungen des Bundesasylamts kommt, war für mich nicht
ersichtlich.
Es gibt Berichte darüber, daß
Flugunternehmen und Schiffsunternehmen die Passagiere nach ihrer Hautfarbe
selektiert haben. Das sind dann Auswirkungen von solchen harmlos klingenden
Gesetzestexten.
Noch einmal: Wir haben diese Bestimmungen
bis jetzt und derartige Selektionen sind mir schlichtweg nicht bekannt.
Ganz im Gegenteil: Wir haben einen prozentmäßig relativ hohen
Anteil von Menschen, die über den Flughafen einreisen.
Interview mit Dr. Gerold Lehnguth
Ministerialdirigent der Abteilung für
Asyl- und Ausländerangelegenheiten des Bundesministerium des Inneren
Mein Name ist Lehnguth. Ich bin der ständige
Vertreter des Abteilungsleiters für Asyl- und Ausländerangelegenheiten
des Bundesministerium des Inneren in Bonn. Die Abteilung ist 1992 gegründet
worden, man wollte damals den sehr hohen Stellenwert dieses Politikbereiches
durch die eigene Abteilung herausstreichen, insbesondere angesichts der
steigenden Asylbewerberzahlen in Deutschland, die, das wissen sie, 1992
einen Höhepunkt erreicht hatten.
Ist es durch die Drittstaatenregelung
nicht so, daß jetzt von Deutschland und Österreich aus gesehen
alle Nachbarländer als sichere Drittstaaten gelten und es für
Flüchtlinge daher unmöglich ist, über den Landweg nach Deutschland
zu kommen?
Diese Frage wird mir ja ständig gestellt.
Die Drittstaatenregelung wurde am 1. Juli 1993 in Kraft gesetzt. In den
darauffolgenden Jahren hatten wir nach wie vor viele Asylbewerber: 1994
hatten wir 127 000 Asylberwerber, 1995 hatten wir 127 000 und 1996 hatten
wir 116 000. Es ist also nicht richtig, wenn man von “Festung Deutschland”
oder “Festung Europa” spricht, die Leute kommen eben doch immer noch rein...
Aber sie müssen illegal reinkommen
aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen ...
ja, richtig aber ...
So gesehen ist es natürlich falsch,
den Schlepperbanden die Schuld zuzuweisen, denn diese reagieren nur auf
die gesetzlichen Bestimmungen?
Ja gut, aber Sie werden doch mit mir einer
Meinung sein, daß man die Schlepperbanden bekämpfen sollte und
nicht die Leute aus ihren wohlgeordneten Kreisen, ihren eigentlichen Ländern,
herauszieht. Wir meinen eben, daß Asylbewerber, die einen Asylgrund
haben, nach wie vor Deutschland erreichen können. Das zeigt auch die
hohe Prozentzahl der Anerkennungen, die wir hier haben! Auf der anderen
Seite, wenn sie die Asylbewerber daraufhin untersuchen, wer hier unter
dem Signum Asyl steht, dann sind es auch nicht immer die Ärmsten die
da aus den Ländern kommen. Sie gehören einer Schicht an, die
Geld haben muß, um einen Schlepper oder einen Flug bezahlen zu können.
Das kostet alles viel Geld, meinetwegen ein Ticket von Indien nach Deutschland
zu bezahlen.
Die Drittstaatenregelung, da werden
sie mir sicher auch recht geben, und sie werden es auch wissen, führt
zur Kettenabschiebung, dem sogenannten Domino-Effekt. Z.B. landet ein von
Deutschland abgeschobener Flüchtling in Polen und wird von dort weiter
in die Ukraine abgeschoben, welche auch noch als sicherer Drittstaat gilt
...
Da gebe ich Ihnen natürlich überhaupt
nicht recht, das werden sie auch nicht erwartet haben, weil ...
Nicht? ...
Nein, natürlich nicht!
Der österreichische Asylamtschef
hat das nicht bestritten...
Nein, wir bestreiten das wirklich ganz
entschieden, weil wir diese Länder sehr akribisch untersucht haben.
Wir haben mit Polen und der Tschechischen Republik Zusammenarbeitsverträge.
Die beinhalten eben auch finanzielle Unterstützung,
um in diesen Bereich diesen beiden Ländern etwas zu helfen.
Diese Länder haben das Geld allerdings
in erster Linie in den Grenzschutz investiert.
Das Geld sollte an und für sich für
drei Zwecke genützt werden: Einmal zur Sicherung der Grenzen, das
ist schon richtig, aber auch um zweitens eine Asylstruktur weiterzuentwickeln
oder aufzubauen, dann eben auch noch um einige Datenbereiche auszubauen.
So haben wir mit Polen einen Ausschuß gebildet, der durchaus darauf
schaut, wofür das Geld ausgegeben wird. Es wird also nicht nur für
den Grenzschutz verwendet.
Welches Interesse sollte Polen haben,
Flüchtlinge aufzunehmen, die Deutschland schon vorher nicht ins Land
lassen wollte? Sie sagten, daß Asylbewerber zwar Anrecht auf ein
ordentliches Asylverfahren in Polen haben, aber es stellt sich die Frage,
wie dieses ausgeht!
Polen ist ja seit einigen Jahren auch eine
Demokratie und das wissen die, und hat auch ein großes Interesse,
sich der europäischen Union anzuschließen. Die europäische
Union hat auch schon Gesprächsangebote an einige Länder gemacht,
darunter auch an Polen. Polen muß sich den internationalen Vereinbarungen
anschließen, wenn Polen auf dem Zug nach Westeuropa mitfahren will,
meine ich.
Sie haben es vorher angesprochen, daß
politisch Verfolgte auch die Möglichkeit haben per Flugzeug nach Deutschland
einzureisen. Da gibt es allerdings sehr restriktive Visabestimmungen. In
den Schengener Verträgen gibt es sogar einen Artikel, in dem festgelegt
wird, daß die Transportunternehmen, z.B. Fluglinien, für die
Kosten des Rückflugs der Passagiere ohne Visum aufzukommen haben.
Na gut, da gibt es im deutschen Ausländergesetz
auch eine derartige Vorschrift, weil wir meinen, daß auch die Flugbeförderungsunternehmen
eine Obhutspflicht haben. Sie müssen darauf schauen, wer mit einem
Visum in ihr Flugzeug einsteigt. Insofern halte ich es schon für richtig,
daß nicht immer irgendwelche Fluggesellschaften hier Leute visafrei
nach Deutschland oder Österreich hereinkarren. Man kriegt die Leute
ja nicht mehr so leicht raus, das müssen sie jetzt auch noch mal bedenken.
Wir haben relativ viele ausreisepflichtige Ausländer, die aber von
ihren Heimatländern nicht unbedingt aufgenommen werden. Das ist ein
großes Problem, das hat nicht nur Deutschland, das hat auch Österreich
und andere EU-Länder. D.h., ich kann nicht einfach so ganz locker
Leute in ihr Heimatland zurückschieben. Es muß ja dann auch
die Bereitschaft des Heimatlandes vorhanden sein, diese Person wieder aufzunehmen.
Sie sagen z.B.: Das ist nicht mein Staatsangehöriger, das könnt
Ihr nicht nachweisen. Gerade mit nord- oder schwarzafrikanischen Ländern
haben wir häufig so Schwierigkeiten. In Hamburg gibt es z.B. 2000
Schwarzafrikaner, deren Identität nicht feststellbar ist. Die Hamburger
Ausländerbehörde zieht mit denen zum Teil von Botschaft zu Botschaft.
So sagt er bei der senegalesischen Botschaft, er sei Nigerianer, obwohl
er vorher behauptet hat, er sei Senegalese. Das sind unheilvolle Verfahren.
In Deutschland findet wie in Österreich
und dem restlichen Europa in den meisten Medien eine Gleichsetzung von
sogenannten Illegalen mit Kriminellen statt. Diese Gleichsetzung schlägt
sich auch in einer unauffälligeren Weise in Formulierungen von Gesetzen
nieder. So werden im Artikel 9 des Schengener Abkommens die Schengener
Staaten in einem Atemzug dazu aufgefordert, gemeinsam den Kampf gegen Kriminalität,
gegen die unerlaubte Einreise und gegen den unerlaubten Aufenthalt von
Personen aufzunehmen. Was meinen Sie dazu?
Ich kann das nur unterstützen! Ich
kann da nichts dagegen sagen! Ich kann diese Unterstellung, die Sie da
mitgeteilt haben, nicht teilen. Ich meine schon, daß der Kampf gegen
illegalen Aufenthalt wichtig ist. Jeder Staat sollte an sich die Übersicht
haben, wer sich bei ihm rechtmäßig als Ausländer aufhält.
Die Zahl der Illegalen steigt natürlich in vielen Ländern. Man
müßte auch in den Herkunftsländern sagen: "Ihr Leute, es
hat keinen Zweck nach Deutschland zu kommen. Wenn Ihr nicht tatsächlich
politisch verfolgt seid, werdet Ihr wieder zurückgehen müssen!”
Deshalb tun mir die auch besonders leid, die geben ja ihre Existenz, die
vorher bestanden hat, auf, geben ihr ganzes Geld einem Schlepper oder sammeln
auch noch und machen sich dann auf den Weg, um einer Verheißung,
die ihnen fälschlicherweise versprochen worden ist, zu folgen: Hier
ist nicht das Land, wo Milch und Honig fließt.
Sie wissen vielleicht aus der Kriminalitätsstatistik,
daß 30 % der Straftaten von Ausländern begangen werden, während
nur 9 % Ausländer in Deutschland wohnen. Man muß sehr genau
hinschauen, ob es sich hierbei um die ganz normalen hier verweilenden integrierten
Ausländer handelt, oder ob es sich um Banden handelt, die nach Deutschland
kommen, um Straftaten zu begehen, wie Autodiebstahl, Schlepperei, Rauschgift
usw.
Bei diesen 30 % der “Straftaten” handelt
es sich allerdings zum Großteil um Verstöße gegen die
Asylgesetze.
Gut, aber wenn sie das jetzt herausnehmen,
dann kann ich Sie darauf verweisen, daß bei der organisierten Kriminalität
60 % Ausländer beteiligt sind. Diese Zahl spielt in der politischen
Diskussion eine große Rolle. Nur die ganz harten Straftaten zählen
zum Bereich der organisierten Kriminalität...
Aber die sogenannte Schlepperei wird
auch zur organisierten Kriminalität gezählt!
Das schon, aber nicht, wenn ich einfach
gegen das Ausländerrecht oder eine Meldevorschrift verstoßen
habe. OK, wollen wir mal jetzt beenden!?