Der etwas andere Dokumentarfilm:
Martin Krenns Aufzeichnungen zum Antifaschismus der 1930er und 1940er Jahre
Als der Kommunist Harry Spiegel sich 1937 in Spanien zu den Internationalen Brigaden meldete, tat er dies mit Hilfe eines Wörterbuches. Spiegel heißt im Spanischen espejo und so heiße er, versuchte dieser seinem Gegenüber zu vermitteln. Der spanische Genosse, der ihn in eine Liste eintragen sollte, schüttelte den Kopf, aber nur, um ihn zu verbessern: Nicht einfach espejo, nein, „Don Espejo“ (Herr Spiegel) trug er ein. Fortan hatte Spiegel einen neuen Spitznamen. Anekdoten wie diese machen das Leben des österreichischen Widerstandskämpfers anschaulich. Und das, obwohl man ihn im Film kaum anschauen kann. Nur in Vor- und Abspann der Dokumentation von Martin Krenn werden Super-8-Aufnahmen von Harry Spiegel eingeblendet. Der Protagonist dieser Geschichte über den antifaschistischen Widerstand der 1930er und 1940er Jahre verstarb, bevor der Filmemacher ihn auf Zelluloid bannen konnte.
Das tut dem Film aber keinen Abbruch. Spiegel ist sein roter Faden, seine gewissermaßen unsichtbare rote Fahne, aber eine Biografie hat Krenn nicht gedreht. Eher etwas, das man früher Sittengemälde genannt hätte. Unter Verwendung von gezeichneten Texttafeln und kurzen Off-Kommentaren lassen Krenn und Nina Maron, die das Drehbuch verfasst hat, Akteurinnen und Akteure von damals sprechen. Spiegel selbst ist dabei immerhin mit Tonbandaufnahmen vertreten. Von solchen Dokumentarfilmen, in denen ZeitzeugInnen ihre Erlebnisse in die Kamera sprechen, kann es schon prinzipiell nicht genug geben – zumal, wenn es sich um aktive Linke handelt, die in Deutschland und Österreich bekanntlich nicht gerade die Mehrheit stellten.
Aber Krenn ist es gelungen, selbst diese gewohnte, wenn auch seltene Perspektive zu erweitern. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen, indem er den damals formulierten internationalistischen Anspruch ernst nimmt und nicht nur österreicherische SpanienkämpferInnen – von denen es insgesamt etwa 1400 gab – zu Wort kommen lässt. Auch in Spanien selbst und in Frankreich sind Interviews geführt worden. Über den Lebensweg von Spiegel entsteht auf diese Weise ein Panorama des Widerstands gegen den europäischen Faschismus, das sich vom österreichischen Bürgerkrieg im Februar 1934 über den spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) bis zur französischen Résistance spannt. Dazu gehörte oft auch das Überleben in deutschen Konzentrationslagern. „Blöde Frage!“, sagt einer der ehemaligen Spanienkämpfer, so dass man fast lachen muss, als er von einem Bekannten erzählt, der ihn in Dachau mit den Worten „was machst du denn hier?“ begrüßt. Dass Spiegel kein Einzelfall war, der diese Etappen des Kampfes zurückgelegt hat, wird ebenso deutlich wie die Vielfalt jener Praktiken, die letztlich das Ausmachen, was heute als Widerstand bezeichnet werden kann. Dazu zählt auch der Unterricht für nach Frankreich verschickte jüdische Kinder, von denen einige, mittlerweile selbst grauhaarig, im Film von ihrem Lieblingslehrer Spiegel erzählen. Überhaupt werden durch die konkreten Schilderungen auch große Worte wie „bewaffneter Kampf“ oder „Wehrkraftzersetzung“ auf kleine, äußerst menschliche Taten zurechtgestutzt. Was sie nicht weniger beeindruckend oder auch „heroisch“ macht.
Aber noch auf eine andere Weise heben sich die „Aufzeichnungen zum Widerstand“ von ähnlichen Dokumentationen ab. Nämlich durch die Art der Darstellung. Der Titel ist wörtlich zu nehmen: Statt die ZeitzeugInnengespräche mit historischem Film- und Fotomaterial zu unterlegen bzw. zu bebildern, setzt Krenn auf Zeichnungen. Einzelne Bilder und Animationen, unbekannte Straßenszenen und Skizzen nach Vorlagen weltberühmter Fotos (wie jener Robert Capas) wechseln sich ab. Geschichte und Geschichten gehen, nicht nur metaphorisch gesprochen, ineinander über. Und diese schwarz-weißen, mit breiter Linie geführten Zeichnungen von Paul Braunsteiner sind nicht nur sehr schön. Krenn kommentiert damit auch die Debatte um den Stellenwert der Fotografie als historisches Zeugnis. Er schafft eine Distanz zum Dokument. Diese weitet sich zu einem Raum aus, in dem Infragestellung stattfinden kann. So werden die ZuschauerInnen nicht vor historische Tatsachen gestellt, sondern vor Denkaufgaben.
Über das Wortspiel der Aufzeichnung – auf Tonband, Film oder Papier – wird zwischen bürokratischen und künstlerischen Verfahren vermittelt. Dass dabei die Vermittlung historischer Fakten hinterfragt wird, führt weniger zu Relativismus als zu geschärften Blicken. Auch wenn man nicht erfährt, wie viel Don Espejo als kommunistischer Politkommissar in Spanien von der Liquidierung undogmatischer MarxistInnen und AnarchistInnen wusste, dass Stalin sie angeordnet hatte, wird sehr wohl erwähnt. Noch in den 1990er Jahren engagierte sich Spiegel im alternativen Kulturzentrum (WUK) in Wien. Am Schluss hüpft der weißhaarige Protagonist am Strand auf die Kamera zu. Ein sympathischer Mann, denkt man. Und was für ein Leben! Ein großartiger Film.
Jens Kastner „Aufzeichnungen zum Widerstand“, Martin Krenn, 65 Min., A 2006, www.martinkrenn.net (Verleih: Poool Filmverleih, presse@poool.at).
in: Graswurzelrevolution, Münster, Nr. 318, Münster, April 2007, S. 15.